„Autonarren waren wir nie“: Shell-Tankstelle schließt nach 90 Jahren Familienbetrieb

Die Shell-Tankstelle in Seligenstadt-Froschhausen schließt. Die Eigentümer blicken auf eine bewegte Zeit zurück – und sind erleichtert.
Seligenstadt – Am Montagabend (29.11.2021) um 21 Uhr ist der allerletzte Tropfen Benzin geflossen, dann war Zapfenstreich. Die Shell-Station an der Offenbacher Landstraße in Seligenstadt-Froschhausen (Kreis Offenbach) schließt, Tankstelle mit Shop und Werkstatt werden verkauft. An wen, das wollen die bisherigen Eigentümer Heinz-Josef und Thomas Sticksel nicht sagen, wenngleich in Froschhausen schon die Gerüchteküche brodelt. Die Cousins, die den rund 90 Jahre alten Familienbetrieb von ihren Vätern übernommen haben, lassen aber durchblicken, dass der Käufer nicht an einer Weiterführung interessiert ist.
Wehmut schwingt nicht mit, wenn die Sticksels auf ihr Arbeitsleben zurückblicken – zu viel Arbeit, zu wenig Leben. Er habe schon seinen Vater damals kaum zu Gesicht bekommen, obwohl die Familie direkt neben der Werkstatt wohnte, sagt Heinz-Josef Sticksel. Dementsprechend haben auch die Kinder des 61-Jährigen kein Interesse daran, den Betrieb weiterzuführen. Und eine Vermietung wäre ob der dringend sanierungsbedürftigen Bausubstanz aus den Siebzigern unrentabel.
Shell-Tankstelle in Froschhausen schließt: Auslaufender Vertrag ist willkommener Anlass
Thomas Sticksel, selbst kinderlos, spricht von „einer der härtesten Branchen, die es gibt“. Über die Festprovision für den verkauften Liter Benzin kann er nur den Kopf schütteln. „Wir haben am Liter Benzin einen Cent verdient, das ist so branchenüblich. Bei Preiserhöhungen kriegt keiner was ab.“

Der auslaufende Vertrag mit dem Shell-Konzern war willkommener Anlass, dem Ganzen den Rücken zu kehren. Die ständige Verfügbarkeit hat Nerven und Gesundheit strapaziert, das Auskommen blieb zu gering für den Aufwand. „Wir haben sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr geöffnet. Wenn man sich samstags nach fünf Stunden Arbeit zuhause mal um den eigenen Garten kümmern wollte, kam der Anruf, die Kasse sei abgestürzt“, sagt Thomas Sticksel.
Als Chef stand der 63-Jährige nach einem Einbruch auch nachts um drei im Laden, um aufzuräumen, damit der Betrieb am Morgen weitergehen konnte. Kein seltenes Szenario. „Wir hatten jede Menge Einbrüche“, sagt Heinz-Josef Sticksel. Diebe schnitten die Außenverkleidung auf, fuhren mit dem Auto in die Shop-Tür. Auch bewaffnete Überfälle mit Personenschaden gab es.
Seligenstadt-Froschhausen: Inhaber der Shell-Tankstelle blickt auf bewegte Zeiten zurück
Ermüdend zudem die Diskussionen mit den Werkstattkunden. „Das Teil krieg ich im Internet günstiger“ – ein Satz, den Heinz-Josef Sticksel in den vergangenen Jahren immer öfter gehört hat. „Das Geschäft war früher ein ganz anderes. Die Leute pflegten ihre Autos, fuhren regelmäßig zur Inspektion. Heute tanken sie vor einem Urlaub gerade mal voll.“
Der 61-Jährige will sich vor allem an die treuen Stammkunden erinnern, die 40 Jahre oder länger zur Firma Sticksel kamen. „Da sieht man das Auto und hat sofort die ganze Geschichte dazu im Kopf. Es gibt Kunden, die nichts anderes als uns kennen, drei Generationen, die bei uns Autos gekauft haben“.
Kreis Offenbach: Vor Schließung der Shell-Tankstelle kehren die Stammkunden zurück
Ganze Familien brachten vor der Schließung noch ein letztes Mal ihre Fahrzeuge zur Inspektion vorbei. „Einer hat den TÜV sogar von Februar auf November vorgezogen, weil wir das Auto, einen alten Lancia Thema, einfach kennen.“ Eine andere Familie hätte ihn zum Essen eingeladen. Mit der Schrauberei dagegen wollen die Cousins nichts mehr zu tun haben: „Autonarren waren wir nie.“ (Franziska Jäger)