Drei Ukrainerinnen starten in Seligenstadt in ein neues Leben

Vor einem Jahr sind Marina, Natascha und Ola aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew nach Seligenstadt geflohen. Dort haben sie eine neue, zweite Heimat gefunden.
Seligenstadt – An den 24. Februar 2022, den Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine, erinnern sich Marina, Natascha und Ola noch ganz genau. „An diesem Tag hat für alle Ukrainer ein neues Leben angefangen“, sagt Natascha. Für die drei jungen Frauen bedeutete dieser Tag auch, ihre Heimat zu verlassen. Nach einigen Tagen in Polen kamen Natascha und Marina Mitte März in Seligenstadt an, Ola kam wenig später nach.
„An diesem Tag hat für alle Ukrainer ein neues Leben angefangen.“
Am frühen Morgen des 24. Februars werden die drei Frauen vom Krieg überrascht. „Wir haben nicht damit gerechnet, dass es Krieg gibt“, sagt Natascha. Wie auch Marina und Ola lebt sie zu diesem Zeitpunkt in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Sie habe es erst gar nicht geglaubt, als ein Freund sie morgens weckte und ihr sagte, sie solle packen, sagt Marina. Erst der Blick auf ihr Handy macht deutlich: Es ist tatsächlich Krieg.
Es sei schwierig gewesen, aus der Stadt herauszukommen, erzählt Natascha. In den Westen der Ukraine, wo ein Teil ihrer Familie lebt, fuhr kein Zug mehr. Ihre Cousine muss sie schließlich abholen – mehrstündige Wartezeiten an den Tankstellen machen aber auch das zunächst schwer.
Flucht aus der Ukraine: Alle Züge waren voll
Nach drei Tagen, in denen Marina mit der Familie ihrer Schwester in Kiew ausharrt, will auch sie zunächst zu ihren Eltern, 120 Kilometer von Kiew entfernt, fahren. Ein Anruf von Natascha gibt schließlich Aussicht auf die Flucht nach Polen. Mit dem Zug versucht Marina, mit Schwester und Nichte in Richtung Westen zu fahren. „Wir haben am Bahnhof im nächsten Ort übernachtet. Es brannte kein Licht, es waren viele Menschen dort“, erinnert sich Marina.
Mehrere Züge in Richtung Lwiw seien am Bahnhof angekommen, aber so voll gewesen, dass niemand mehr zusteigen konnte. „Irgendwann haben die Leute die Fenster eingeschlagen, weil sie nicht in die Züge kamen. Die Scherben sind auf all die Kinder im Zug gefallen.“
Erst über einen anderen Bahnhof und nach einer weiteren stressigen Nacht in einem Zug, von dem sie nicht wissen, wo er hinfahren würde, schaffen sie es aus der Stadt und zu Natascha. Über eine Bekannte mit Kontakten nach Seligenstadt können sie nach Polen und schließlich nach Seligenstadt fahren.
Nach Flucht aus der Ukraine: Marina, Ola und Natascha fühlen sich in Seligenstadt sicher
Als die beiden in der Stadt ankommen, ist Ola noch in der Ukraine. Eine Woche harrt sie mit ihrer Familie in ihrem Haus in Kiew aus, hört die russischen Raketen und versucht, sich mit den wenigen Lebensmitteln, die es in den Läden noch gibt, zu versorgen. Ein Freund habe sie schließlich an einem sichereren Ort in der Nähe von Butscha untergebracht. Nach einem Telefonat mit Marina und Natascha in Seligenstadt flieht auch Ola über Polen in die Einhardstadt.
Dort fühlen sich die drei Frauen nun sicher. Sie leben und arbeiten auf dem Birkenhof von Hubert Wolf, pflanzen und ernten dort unter anderem Kartoffeln. Trotz der vielen und anstrengenden Arbeit seien sie froh, dass sie einen Job haben, sagen die drei.
„In den ersten Monaten wollten wir oft wieder nach Hause“, sagt Marina. „Als wir angefangen haben, zu arbeiten, wurde es besser, weil wir nicht mehr so viel daran denken konnten.“
Geflohene Ukrainerinnen wollen in Seligenstadt bleiben
Irgendwann, sagen die drei Frauen, wollen sie einen anderen Job haben. Alle haben sie studiert – Maschinenbau, Technologie, Mathe und Wirtschaft auf Lehramt – und als Managerin und administrative Assistentinnen bei McDonalds gearbeitet. „Für einen neuen Job müssen wir aber erst einmal Deutsch lernen“, sagt Natascha. Im Moment verständigen sie sich vor allem auf Englisch, besuchen einige Stunden in der Woche abends einen Deutschkurs beim Arbeitskreis „Willkommen in Seligenstadt“.
In der Einhardstadt fühlen sie sich wohl. „Ich fühle mich hier sicher, ich lebe hier jetzt ein normales Leben“, sagt Marina. In der Ukraine könne sie das nicht mehr: einen Job habe sie dort nicht mehr, viele ihrer Freunde würden nicht mit ihr sprechen, weil sie geflohen ist. „Ich war im vergangenen Jahr zweimal in der Ukraine. Wenn ich zurück nach Seligenstadt gekommen bin, habe ich mich wieder wohlgefühlt. Es ist eine zweite Heimat für mich geworden.“
Für Marina und Natascha steht fest: Sie wollen in Seligenstadt bleiben. Ola ist da noch nicht ganz so sicher. „50:50“ stehe es, sagt sie. Die Familien der drei jungen Frauen sind noch in der Ukraine. Olas Bruder kämpft im Krieg. Im Januar, als sie in der Ukraine zu Besuch war, hat sie ihn zuletzt verletzt in einem Krankenhaus gesehen. Mittlerweile kämpfe er wieder, Kontakt hätten sie seitdem keinen gehabt. „Es ist sehr hart“, sagt Ola. Trotzdem sei sie Deutschland dankbar, dass sie nun einen Ort zum Leben, Arbeit und Sicherheit habe und ein normales Leben führen könne.
Ukrainerinnen in Seligenstadt: „Hoffen, dass der Krieg noch in diesem Jahr aufhört“
Ob es auch in der Ukraine wieder ein normales Leben geben wird, wissen Marina, Ola und Natascha nicht. „Wir hoffen, dass dieser Krieg in diesem Jahr noch aufhört. Aber wir haben auch, als der Krieg begonnen hat, gedacht, dass er in ein paar Monaten wieder vorbei ist. Jetzt dauert er schon ein Jahr“, sagt Marina.
Seit August ist auch Nataschas Schwester in Seligenstadt. Ihre Mutter hatte die beiden aus Angst um ihre Töchter überzeugt, aus der Ukraine zu fliehen. „Wir können immer in die Ukraine fahren und unsere Familie besuchen“, sagt Natascha heute. „Aber ich möchte in Deutschland bleiben.“ (Von Laura Oehl)