EU-Zukunftsprojekt: Seligenstädter führt Austausch über Grenzen hinweg

Der Seligenstädter Ralf Pritzel ist ein ganz besonderer Einwohner der Einhardstadt. Er war nämlich einer von 800 Bürgerinnen und Bürgern aus der Europäischen Union, die an einer Konferenz zur Zukunft Europas teilgenommen haben. 48 Vorschläge hat er gemeinsam mit seiner Gruppe erarbeitet, die in den nächsten Jahren von der Politik umgesetzt werden sollen.
Seligenstadt – Hinter Ralf Pritzel liegen aufregende Monate. Der Seligenstädter war einer von 800 EU-Bürgerinnen und Bürgern, die an der Konferenz zur Zukunft Europas teilgenommen haben. Sie alle waren zuvor zufällig ausgewählt worden (wir berichteten). Vor Kurzem reiste Pritzel nun mit dem Rest seiner Gruppe nach Irland, um in Dublin konkrete Vorschläge für die EU-Politiker zu formulieren. Die Ideen dafür hatten sie zuvor gemeinsam in Straßburg sowie bei einer Online-Konferenz gesammelt. Die 200 Teilnehmer seiner Gruppe befassten sich mit den Themen Wirtschaft, Bildung, Kultur, Jugend, Sport und digitalem Wandel. „Das war der größte Block – deshalb kamen aus unserer Gruppe auch die meisten Vorschläge für die EU“, sagt Pritzel. 48 Stück sind es am Ende geworden.
Überschattet wurde das Treffen allerdings von dem wenige Tage zuvor gestarteten Einmarsch Russlands in die Ukraine. „Das war natürlich ein Thema“, sagt der Seligenstädter. Auch der ehemalige belgische Premierminister Guy Verhofstadt habe sich dazu geäußert. „Wenn das Bürgerforum noch nicht geplant gewesen wäre, sei spätestens jetzt der Zeitpunkt, ein solches zu machen, meinte er. Um zu zeigen, dass wir für Demokratie, für Vielfalt und gewisse Werte stehen“, so Pritzel. Für ein Gruppenfoto hätten viele dann auch die ukrainische Flagge in die Kamera gehalten – als Zeichen der Solidarität.
Doch es habe sich auch gezeigt, dass es selbst dazu unterschiedliche Sichtweisen gebe. „Ein Zypriote hat zum Beispiel gesagt, dass er es nicht in Ordnung findet, dass man sich jetzt für die Ukraine stark macht. Denn die Türkei besetze einen Teil Zyperns, und da habe sich niemand drüber aufgeregt. Er stand mit seiner Ansicht aber relativ alleine da“, sagt Pritzel.
Seligenstädter stimmt gemeinsam mit anderen Teilnehmern über Vorschläge für EU ab
Grundsätzlich sei aber Tenor gewesen: Wir wollen Demokratie, wir wollen Eigenständigkeit, und wir wollen nicht von einem anderen Staat kontrolliert werden. Deshalb sei auch der Entscheidungsprozess, welche Vorschläge dem EU-Parlament letztlich vorgelegt werden, demokratisch gewesen. „Sonntags wurde mit allen 200 Leuten gemeinsam abgestimmt. Die Bedingung war, dass mindestens 70 Prozent zustimmen mussten.
Ralf Pritzels Gruppe hatte sich während der Konferenz mit der Cyberkriminalität und ihrer Bekämpfung beschäftigt. „Mit Europol haben wir bereits eine Institution. Aber uns war klar, wir müssen die finanziellen Mittel erhöhen, um ausreichend Personal und technische Mittel zu ermöglichen“, sagt der Seligenstädter. Mit dem erarbeiteten Ergebnis ist er sichtlich zufrieden. „Da muss ich unserer Gruppe selbst auf die Schulter klopfen: Unser Vorschlag hat mit 95 Prozent die höchste Zustimmungsrate bekommen – das ist aber auch ein Zeichen der Wertschätzung von den anderen Teilnehmern.“
Vorschläge der EU-Konferenz gehen nun an die Politiker
Die gesamten Vorschläge des in vier Gruppen unterteilten Teilnehmerfelds wird nun den EU-Parlamentariern vorgestellt. „Ich bin guter Dinge, dass ein Großteil der Vorschläge auch in Angriff genommen wird – schließlich wurde für das Projekt viel Geld in die Hand genommen“, sagt Pritzel. Wie schnell das allerdings geht, kann auch er nur schätzen. „Es muss ja alles immer in einem Gesetzestext verfasst, dann den 27 Nationen vorgelegt und dort dann abgestimmt werden – das zieht sich.“
Doch auch persönlich nimmt Ralf Pritzel viel aus dem Großprojekt mit. „Zum einen habe ich viel über die Arbeit der EU gelernt. Und dann hatte ich natürlich interessante Gespräche mit Menschen mit anderen kulturellen Hintergründen und anderem Weltbild. Mit denen war ich vielleicht nicht unbedingt einer Meinung, hatte aber einen tollen Austausch mit ihnen“, sagt er. „Das hat auch meinen sozialen Horizont erweitert.“ Mit einigen Teilnehmern will er auch weiterhin Kontakt halten. „Ich freue mich einfach, dass ich als Seligenstädter für das Projekt ausgewählt wurde! Wir haben wirklich die Zukunft der EU ein bisschen mitgestaltet.“ Weil sich die Welt ständig weiterentwickelt und sich auch die Themen wandeln, sei eine Wiederholung des Projekts geplant, verrät Pritzel. „Das soll keine einmalige Angelegenheit gewesen sein.“ (Von Julia Oppenländer)