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Das „Haus Hamburger“ war eines von vier „Judenhäusern“ in Seligenstadt

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Sally und Isaak Hamburger (von links) nach ihrer Rückkehr aus dem Lager Theresienstadt 1945.
Sally und Isaak Hamburger (von links) nach ihrer Rückkehr aus dem Lager Theresienstadt 1945. © Stadtarchiv

Das Fachwerkhaus an der Steinheimer Straße wurde 1941 zu einem der vier „Judenhäuser“ - dort mussten die verbliebenen Juden während der NS-Zeit zusammenziehen.

Seligenstadt – Von weitem ist dem großen Fachwerkhaus in der Steinheimer Straße 16 kaum anzusehen, welche Geschichte sich hinter seinen Wänden verbirgt. Zwischen den historischen Fachwerkhäusern der Seligenstädter Altstadt sticht es zunächst nur durch seine grauen Holzbalken heraus. Nähert man sich dem Haus aber, entdeckt man drei Schilder an der Ecke: „Haus Hamburger. Erbaut 1685. Im 19. / 20. Jahrhundert von den jüdischen Familien Östreich und Hamburger bewohnt“ steht darauf.

Die Inschrift zeigt: Das große Haus ist Teil eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Denn 1941 wurde das „Haus Hamburger“ zu einem von vier sogenannten „Judenhäusern“ in der Stadt, in denen die noch in Seligenstadt verbliebenen jüdischen Bürger zusammenziehen mussten.

Hildegard Haas kennt sich aus mit der Geschichte der jüdischen Mitbürger in Seligenstadt vor und nach dem zweiten Weltkrieg. 2019 hat sie zusammen mit Thorwald Ritter das Buch „Stolpersteine in Seligenstadt“ herausgebracht, in dem sie genau diese Geschichten erzählen. Insgesamt zwölf Personen, so erzählt Haas, hätten ab 1941 im „Haus Hamburger“ gelebt. Sie kamen aus unterschiedlichen Familien und Häusern der Stadt. Auch die Familie Hamburger selbst, die bereits seit 1872 – Vater Moses hatte damals in die alteingesessene jüdische Familie Östreich eingeheiratet, der das Haus gehörte – dort ansässig war, lebte weiterhin dort.

Moses Hamburger, unter anderem als Musiker und Musiklehrer in Seligenstadt bekannt und geschätzt, war bereits 1935 verstorben. Das musikalische Talent hatte er vor allem an seinen Sohn Isaak weitergegeben, der sich in der Stadt insbesondere als Chorleiter und Klavierlehrer einen Namen machte. „Er war Chorleiter von zeitweise sechs Chören aus Seligenstadt und der Region“, sagt Hildegard Haas. Auch bei der „Germania“ und der „Gesellschaft der Freunde“ hatte er die Leitung inne.

1685 erbaut, lange in jüdischem Besitz und später als „Judenhaus“ deklariert, wurde das heutige Wohnhaus 2001 mit dem Hessischen Denkmalschutzpreis ausgezeichnet.
1685 erbaut, lange in jüdischem Besitz und später als „Judenhaus“ deklariert, wurde das heutige Wohnhaus 2001 mit dem Hessischen Denkmalschutzpreis ausgezeichnet. © Oehl

„Mit dem Chor Germania errang er noch 1933 auf einem Sängerfest in Hausen den ersten Preis“, so Haas. Kurze Zeit später musste er seine Ämter als Chorleiter allerdings abgeben, auch die Konzertauftritte mit Schwester Jenny, Bruder Sally und Sohn Julius konnten nicht mehr stattfinden. „Die ganze Familie wurde ausgegrenzt. Ihr Können und ihre Beteiligung waren nicht mehr gefragt und später sogar ihre aktive Beteiligung am öffentlichen Leben unter Strafe verboten“, erklärt Hildegard Haas. Im November 1938 wurde auch die Synagoge, in der die Familie Hamburger ihren Glauben gefeiert und ihre Musik gespielt hatte, durch die Brände der Novemberpogrome zerstört.

Im September 1942 wurden die Bewohner des „Haus Hamburger“ und der weiteren „Judenhäuser“ in Seligenstadt deportiert. In einem Lastwagen brachte man sie nach Darmstadt, von dort kam Isaak Hamburger nach Theresienstadt, seine Schwestern Paula und Jenny sowie sein Sohn Julius kamen in einen anderen Transport. „Auf den Stolpersteinen vor dem Haus steht Auschwitz, was nach neueren Recherchen nicht sicher ist“, sagt Haas. „Der Transport am 30. September 1942 aus Darmstadt ging vermutlich nach Treblinka. Er sollte nach Auschwitz gehen, wurde aber kurzfristig umgeleitet.“ Sie seien demnach vermutlich in einem Vernichtungslager im besetzten Polen ums Leben gekommen. Bruder Sally und Schwester Emma waren ebenfalls nach Theresienstadt deportiert worden.

Isaak und Sally überlebten als einzige der deportierten Familienmitglieder das Konzentrationslager. „Sie waren die einzigen Seligenstädter Juden, die nach 1945 aus dem Konzentrationslager zurückkamen“, so Hildegard Haas.

Dort konnten sie auch in ihr Haus in der Steinheimer Straße zurückkehren. Anders als viele Häuser in jüdischem Besitz war das „Haus Hamburger“ nicht beschlagnahmt worden. Ihre Möbel aber, so Haas, seien, wie die aller jüdischen Bürger, versteigert worden. „Das Klavier muss allerdings noch da gewesen sein, wie eine Mitbewohnerin des Hauses berichtete“, sagt Haas.

Von dem typischen Fachwerk war am „Haus Hamburger“ früher noch nicht viel zu sehen.
Von dem typischen Fachwerk war am „Haus Hamburger“ früher noch nicht viel zu sehen. © Stadtarchiv

Nach ihrer Rückkehr nach Seligenstadt arbeitete Sally bei der Sparkasse. Isaak Hamburger konnte an seine Arbeit als Musiker und Chorleiter anknüpfen. So gehörte zu den verschiedenen Chören, die er ab 1947 wieder leitete, auch wieder die Gesellschaft der Freunde. 1954 verstarb Sally Hamburger, elf Jahre später auch Isaak, der als letzter auf dem Jüdischen Friedhof in Seligenstadt beigesetzt wurde.

Das „Haus Hamburger“, so erklärt Hildegard Haas, sei schon 1954 an Erna Wolfgang, die Tochter Isaak Hamburgers und einzige Erbin, überschrieben worden. Sie war 1936 in die USA geflohen und hatte die nationalsozialistische Herrschaft so ebenfalls überlebt.

Ein Jahr nach dem Tod ihres Vaters verkaufte Erna Wolfgang das Haus an die Stadt Seligenstadt. Ende der 90er-Jahre kaufte es ein Privatmann und sanierte das recht heruntergekommene Fachwerkhaus, das 2001 den Hessischen Denkmalschutzpreis verliehen bekam. (Von Laura Oehl)

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