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Heimatstadt inspiriert bis heute

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Von: Katrin Stassig

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Anleihen aus dem Jugendstil sind in den Illustrationen von Markus Lefrançois erkennbar. Hier knabbern Hänsel und Gretel am Hexenhäuschen.
Anleihen aus dem Jugendstil sind in den Illustrationen von Markus Lefrançois erkennbar. Hier knabbern Hänsel und Gretel am Hexenhäuschen. © p

Seligenstadt - „Wer knupert an meinem Häuschen?“: Märchenillustrationen von Markus Lefrançois sind vom 28. Juli bis 26. September in der Buchhandlung „geschichten* reich“ ausgestellt. Der Künstler ist in Seligenstadt aufgewachsen und lebt heute in Kassel.

Im Interview mit Katrin Stassig erzählt er von seiner Arbeitsweise, seinen Inspirationsquellen und Erinnerungen an seine Kindheit in der Einhardstadt.

Herr Lefrançois, Sie illustrieren hauptsächlich Märchenbücher. Was fasziniert Sie an diesem Genre?

Die Märchen sind als alte und interkulturelle Geschichten ein spannendes Kulturgut. Wie faszinierend, dass sich gleiche oder ganz ähnliche Motive von Handlungen oder Charakteren über so große Zeitspannen und räumliche Entfernungen erhalten haben. Mal abgesehen von meinen persönlichen Bezügen zu den Grimm-Märchen durch regelmäßige Besuche der Hanauer Märchenfestspiele in der Kindheit sind für mich als Illustrator diese Texte ein großer Glücksfall: Die Märchen der Brüder Grimm kann man als Essenz einer Handlung sehen. In ganz wenigen Worten durchlaufen die Geschichten Spannungsbögen und Entwicklungen, dabei werden fast keine konkreten Umschreibungen der Personen und des Umfelds vorgenommen. Ich habe somit eigentlich alle Freiheiten bei meinen gestalterischen Entscheidungen, was Aussehen, Verortung, historische Bezüge etc. angeht. Freies Werken, ohne strenge Vorgaben: So macht Arbeiten doppelt Spaß!

Die Bücher sind trotzdem recht unterschiedlich in der Gestaltung. Woher nehmen Sie Ihre Inspiration? Dienen auch real existierende Menschen oder Schauplätze als Vorbilder?

Szene aus „Schneewittchen“, 2013 bei Reclam erschienen.
Szene aus „Schneewittchen“, 2013 bei Reclam erschienen. © p

Eine wirklich gute Frage! Bei den meisten Illustratoren tauchen (meist unbewusst) Menschen und Umgebungen in den Bildern auf, die aus dem Umfeld des Zeichners stammen. Wir sind nun einmal stark von unseren persönlichen Erfahrungen geprägt. Zusätzlich zu diesen unterbewussten Bezügen treffe ich aber gezielt Entscheidungen, in welcher Umgebung ich meine Geschichten ansiedele und in welcher Zeitepoche. Ein Beispiel: Bei den Bremer Stadtmusikanten hätte der Text erlaubt, die Geschichte in jedweder Region starten zu lassen. Die Tiere machen sich ja nur auf den Weg nach Bremen, kommen aber nie dort an und laut Text auch nicht zwangsläufig in die Nähe der großen Stadt. Bremen spielte nun aber mit seinem ausgesiedelten Hafen Bremerhaven eine ganz wichtige Rolle bei den großen Auswanderungswellen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts von Deutschen und östlichen Nachbarn gen Amerika. Daher gibt es in Bremerhaven auch ein Auswanderermuseum. Diese historisch menschlichen Parallelen zu den auswandernden Tieren haben sich mir förmlich aufgedrängt. Dass nun genau dort auch noch die wunderschöne kleine Stadt Worpswede zum Einen wirtschaftlich enge Nähe zu Bremen hatte und zum Anderen als wichtige Malerkolonie des ausklingenden 19. Jahrhunderts großartige Gemälde hervorgebracht hat, die ich zitieren konnte, ließ mich den Ort für meine Bilder schnell finden. Ab dem Moment der Entscheidung fange ich immer an, vor Ort zu recherchieren. Welche Tier- und Pflanzenwelt ist charakteristisch vor Ort, welche Architektur, Technik und Kleidung ist typisch, welche Sagen existieren parallel? Und: Die meisten meiner Bücher widme ich mir lieben Menschen. Es kann also gut sein, dass, wer meine Familie kennt, den Einen oder Anderen davon in meinen Bildern wiederfindet.

Was macht eine gelungene Illustration aus?

Eine wirklich gute Illustration muss weitaus mehr erzählen als der Text. Eine reine Dopplung der Handlung im Bild kann dekorativ sein, ist aber trotzdem überflüssig. Das Wort „illustrieren“ kommt vom lateinischen „illustrare“, also „beleuchten“. Wie im Theater: Wohin zeigt der Scheinwerfer, was ist im Fokus? Gute Illustration muss Geschichten öffnen, durch Nebengeschichten erweitern, durch Schwerpunkte den Blick oder die Emotionen lenken.

Kinder sind oft sehr ehrliche Kritiker. Wie finden Ihre drei Söhne Ihre Bücher?

Das ist wahr! Als wir einmal bei einem Straßenmaler zuschauten, wie er mit Sprühdosen springende Delfine unter Monden oder Regenbögen in extremen Leuchtfarben zauberte, raunte mir mein großer Sohn Marzellin ins Ohr: „Papa, der malt viel schönere Bilder als Du“. Unfassbar, wie ehrlich sie dann doch sind! Aber keine Sorge: Meine Jungs mögen meine Bilder sehr gerne, regen das ein oder andere auch inhaltlich wie optisch an und haben sich total gefreut, dass nach vielen Prinzessinnenmärchen (Dornröschen, Aschenputtel und Schneewittchen) endlich auch mal eine Ritter-Drachen-Geschichte an die Reihe kam. An deren eigenen Kinderzeichnungen kann ich wiederum absolut die Lust zum Erzählen über Bilder erkennen. Sie scheinen also etwas aus meiner Arbeit zu ziehen.

Welche Bilderbücher bzw. Illustratoren mögen Sie selbst gerne? Gibt es Vorbilder?

Ich habe den großartigen Beruf, wo ich meiner Sammelleidenschaft für richtig gute Kinder-Bilderbücher und Comics nachgehen darf und mich nie erklären müsste! Da ich schon seit Jahren auf internationalen Comicfestivals und Buchmessen unterwegs bin und in der Welt so viele Vorbilder gefunden habe, ist es mir kaum möglich, einzelne Namen herauszugreifen. Es passt aber absolut, wenn man mir malerische und bildgestalterische Vorbilder in den Künstlern des Jugendstil und der klassizistischen Malerei nachsagt, ergänzt durch zeichnerische und erzählerische Vorbilder im aktuellen deutschen und italienischen Comic. Aber auch im aktuellen Kinder-Bilderbuchbereich habe ich großartige Kollegen; es gibt einfach so viele so tolle Illustrationen.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Kindheit in Seligenstadt? Gibt es dort einen Lieblingsort, der Sie besonders inspiriert hat?

Markus Lefrançois
Markus Lefrançois © p

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