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Trotz Lebensgefahr: Herzpatient bekommt keinen Platz in Fachklinik – Intensivstationen belegt

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Von: Julia Oppenländer

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Ärzte kämpften gemeinsam um sein Leben: Johannes F. konnte nur operiert werden, weil die Asklepios-Klinik ihre Intensivstation kurzfristig erweiterte.
Ärzte kämpften gemeinsam um sein Leben: Johannes F. konnte nur operiert werden, weil die Asklepios-Klinik ihre Intensivstation kurzfristig erweiterte. © Oppenländer

Kurz vor Weihnachten hängt das Leben von Johannes F. aus Seligenstadt am seidenen Faden. Doch die Intensivstationen in der Region sind voll.

Seligenstadt – Wenn Johannes F. an die vergangenen Wochen denkt, kann er es immer noch nicht glauben. „Ich bin dem Tod von der Schippe gesprungen“, sagt der Seligenstädter. Er schüttelt den Kopf und schaut gedankenverloren für einige Momente aus dem Fenster. Dann sammelt er sich und beginnt seine Geschichte zu erzählen, die bereits vor zweieinhalb Jahren ihren Anfang, aber in Corona-Zeiten eine dramatische Wendung nimmt. Sie handelt von überfüllten Intensivstationen, Corona-Patienten und einer Rettung in letzter Sekunde.

Damals stellen die Ärzte bei Johannes F. ein Problem am Herzen fest. Er muss daraufhin operiert werden, bekommt in einer Fachklinik eine neue Herzklappe eingesetzt. „Bei der achtstündigen Operation lief alles gut“, sagt er. Der Seligenstädter kämpft sich danach mühsam zurück ins Leben. „Letztes Jahr hatte ich dann auch endlich fast meine ganze Kraft zurück, konnte wieder länger Fahrradfahren, schwimmen und habe sogar darüber nachgedacht, wieder mit Karate anzufangen.“

Ärzte der Asklepios-Klinik Seligenstadt schließen Corona-Infektion bei ihm aus

Doch kurz vor Weihnachten, mitten in einer weiteren Corona-Welle, dieses Mal verursacht von der Delta-Variante, geht es ihm plötzlich schlechter. Innerhalb weniger Tage wird er so schlapp, dass er nicht einmal mehr gut aus dem Bett aufstehen kann – an Corona denkt er aber nicht. „Ich dachte eher, das wäre eine schlimmere Erkältung“, so der Mittfünfziger.

Am 18. Dezember lässt er sich von einem Bekannten in die Seligenstädter Asklepios-Klinik bringen, das Corona-Virus wird dort ausgeschlossen. „Als Doktor Gholam sich aber meinen Ultraschall angeschaut hat, hat er erst mal tief durchgeatmet. Und als ich mir das Bild dann auch angesehen habe, wusste ich: Die Lage ist ernst.“

An seiner Herzklappe gibt es eine bakterielle Infektion, wodurch nicht mehr genug Blut durchgepumpt werden kann. Johannes F. müsste eigentlich sofort operiert werden, doch in der Fachklinik, die den ersten Eingriff durchgeführt hat, gibt es keine freien Betten mehr auf der Intensivstation.

Corona-Patienten belegen den Großteil der Betten auf den Intensivstationen in der Region Rhein-Main

„In der ganzen Region sah das coronabedingt zu diesem Zeitpunkt so aus“, sagt Dr. Nikos Stergiou, Chefarzt der Inneren Medizin an der Asklepios-Klinik. „Fast alle Intensivstationen waren mit Corona-Patienten belegt. Es konnte sich niemand um einen solchen Notfall kümmern, wir waren erst mal handlungsunfähig.“

Stergiou und sein Kollege Farooq Gholam setzen daraufhin alle Hebel in Bewegung, um den Seligenstädter Patienten, dessen Zustand am seidenen Faden hängt, doch noch bei Experten unterzubringen: Die Intensivstation in Seligenstadt wird also kurzfristig erweitert, um zwei Patienten der Fachklinik vorübergehend aufzunehmen – im Austausch für Johannes F.

Am 23. Dezember bringt ein Rettungswagen den Seligenstädter in die Fachklinik, bei seiner Ankunft geht es für ihn direkt in den OP. Die alte Herzklappe muss raus, eine neue rein. Doch nach der Operation kommt es bei Johannes F. zu Komplikationen: Flüssigkeit hat sich im Herzbeutel angesammelt – das kann zu einer lebensbedrohlichen Funktionsstörung des Herzens führen. An Heiligabend kämpfen die Ärzte erneut um das Leben des Seligenstädters.

„Pflegepersonal hat alles gegeben, um mich wieder auf die Beine zu bekommen“

Als er auf der Intensivstation wieder aufwacht und davon hört, „da hatte ich schon Angst“. Doch Johannes F. ist noch schwach, kann sich in den ersten Tagen auch nicht richtig artikulieren. „Das war schon bedrückend, wenn dann zehn Ärzte um mein Bett standen, ich aber gar nichts sagen konnte. Trotzdem habe ich gespürt, dass sie und das Pflegepersonal alles geben, um mich wieder auf die Beine zu bekommen. Das berührt einen schon.“ Am 28. Dezember folgt dann der dritte Eingriff: ein Herzschrittmacher. „Aber das war nichts gegen die Operationen davor“, sagt er.

Eine Woche später wird er zurück in die Asklepios-Klinik gebracht, wo er seitdem zu Kräften kommt. „Als dann Doktor Stergiou das erste Mal bei mir war, habe ich richtig gemerkt, wie sehr er sich freut, mich wiederzusehen“, sagt der Seligenstädter. „Und ich bin ihm und Doktor Gholam immer noch so unglaublich dankbar für ihren Einsatz.“

„Sein Fall, also ein Patient, der selbst geimpft und ohne Corona-Infektion ist, aber an der Überlastung der Intensivstationen durch Corona-Fälle schweren Schaden hätte nehmen können, das hat mich schon sehr berührt“, sagt Nikos Stergiou. Über ihn erhält F. außerdem Genesungswünsche des Arztes, der ihn in der Fachklinik operiert hat.

Auch der Seligenstädter beschäftigt sich mit den Gründen für die Überlastung der Intensivstationen

Der Seligenstädter selbst hat sich auch damit beschäftigt, aus welchen Gründen die Intensivstationen überlastet waren, aber „ich versuche es so zu sehen, dass jeder Mensch für seine Einstellungen einen Grund hat. Seit der ersten Operation habe ich mich intensiv informiert und setze daher meine eigene Gesundheit nicht aufs Spiel. Genau deshalb will ich mich jetzt vor allem um mich kümmern, damit es mir bald wieder besser geht.“

Bis er die vergangenen Wochen verarbeitet hat, werde noch Zeit vergehen, sagt er. Im Moment überwiege jedoch die Dankbarkeit, vor allem den Pflegekräften gegenüber, die an seiner Genesung beteiligt sind. „Sie alle leisten eine so unglaubliche Arbeit, die leider viel zu wenig honoriert wird.“ (Julia Oppenländer)

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