Lichtblick-Gründerin Johanna Wurzel spricht über ihr Lebenswerk

Im Interview spricht die Gründerin des Förderkreis Lichtblick über ihr Lebenswerk und über ihre Gabe, andere zu begeistern.
Seligenstadt – Für ihr Lebenswerk ist Johanna Wurzel nun mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet worden. Im Interview spricht sie über ihre Motivation und wie man in der Ehrenamtsarbeit über sich hinaus wächst.
Frau Wurzel, Sie haben für Ihr Lebenswerk den Verdienstorden erhalten. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Es ist für mich eine große Ehre. Ich nehme das in Empfang für die vielen Menschen, die mit mir die vergangenen Jahre gekämpft und gearbeitet haben. Es geht um Menschen, die selbst nicht die Fähigkeit haben, sich in der Gesellschaft Gehör zu verschaffen.
Wie sind Sie dazu gekommen, diesen Kampf aufzunehmen?
Meine Eltern waren schon soziale Menschen: Mein Vater hat in der Resozialisierung von Gefängnisinsassen stark mitgearbeitet. Ich muss außerdem sagen, ich kann es auch. Ich bin gesund, sozial abgesichert, ich lebe in einem stabilen sozialen Umfeld. Also habe ich als Bürger der Gesellschaft die Pflicht, etwas zurückzugeben. Ich sehe das als meine Aufgabe an.
Wie nehmen Sie Ihr Engagement wahr?
So besonders ist mein Engagement eigentlich gar nicht. Wenn jeder, der in meiner Situation wäre, sich einbringen würde, wäre es nichts Besonderes mehr.
Wie hat sich Ihre Arbeit im Ehrenamt entwickelt?
Unsere Älteste hat ein Handicap. Daher weiß ich, wie viel Kampf dahinter steckt, Chancen und Möglichkeiten für diese Kinder zu eröffnen, denn: Freiheiten und Inklusion – diese Worte kannte man damals noch nicht. Das war ein Fremdwort.
Wie sind Sie das Thema Inklusion angegangen?
Unsere Tochter war das erste Inklusionskind hier im katholischen Kindergarten. Das war damals nicht üblich. Es brauchte ein Sprachrohr für diese Kinder. Und dann habe ich ebenfalls betroffene Eltern zusammengerufen und mit mehreren Elternpaaren 1995 den Förderkreis Lichtblick gegründet.
Wie entwickelte sich der Förderkreis?
Wir sind langsam gewachsen. Mit Sicherheit waren wir damals auch ein bisschen blauäugig. Wir haben uns das leichter vorgestellt, als es tatsächlich war.
Sie mussten also viele Hürden überwinden?
Am Anfang war es, gerade in den Arbeitsprojekten, ganz schwierig, Leute von unserer Schaffenskraft zu überzeugen. Wir haben gekämpft, um die Möglichkeit. Sei es, das Klostercafé eröffnen zu können oder das Hotel Elysee, wo wir den LWV (Landeswohlfahrtsverband; Anm. der Redaktion) überzeugen mussten.
Was hat Ihnen besonders Sorgen bereitet?
Ich habe viele schlaflose Nächte verbracht, gerade wenn es um finanzielle Dinge ging. Der ehrenamtliche Verein trägt als Gesellschafter die volle Verantwortung für die Lichtblick-GmbH und damit für die vielen Angestellten. Das heißt, man fragt sich nachts im Bett: Klappt die Finanzierung? Können wir das schaffen? Haben wir uns zu viel zugemutet, übernommen? Aber es hat jeder mitgeholfen und so hat alles immer geklappt. Und heute stehen wir gut da.
Und welche positiven Ereignisse kommen Ihnen in den Sinn?
Es sind so viele Puzzlestücke. Diese ganzen Ereignisse, die zwischenmenschlichen Beziehungen. Es gibt so viele nette Begebenheiten, die mein Selbstwertgefühl und mein Selbstbewusstsein gestärkt haben.
Das heißt, Sie bekommen auch viel zurück?
Ja, wenn ich zum Beispiel ins Café komme und die behinderten Mitarbeiter fallen mir um den Hals und freuen sich, dass ich da bin. Das bedeutet auch Ehrenamt. Es ist nicht nur so, dass man nur gibt, sondern man bekommt auch ganz viel an Liebe und Wertschätzung zurück. Außerdem lernt man viel über sich selbst.
Wie geht es für Sie weiter?
Ich werde bald 70 und habe immer gesagt, mit 70 muss das Ganze in jüngere Hände übergehen. Ich bleibe aber noch beratend dabei. Ich sitze auch noch mit in einem Arbeitskreis, aber nicht mehr als Vorstand. Ich möchte nur noch Ideengeber und Berater sein. Ich habe schon noch Ideen und berate gerne, damit noch weiteres verwirklicht werden kann.
Und für den Verein?
Wir haben den Verein komplett umstrukturiert. Wie in vielen Vereinen, hing das Meiste an der Vorsitzenden und deren Stellvertreter. Die jüngeren Mitglieder haben gesagt, die Arbeit muss auf viele Schultern verteilt werden. Also gibt es jetzt vier Arbeitskreise und den Beirat, der für die GmbH zuständig ist. In diesen Gremien können viele Leute mitarbeiten, auch rein projektbezogen. Es gibt einen Sprecher eines jeden Arbeitskreises und diese bilden den Vorstand. Ich freue mich darauf, dass so frischer Wind reinkommt.
Hoffen Sie, so mehr jüngere Mitglieder zu gewinnen?
Das ist auch Teil des Plans. Es sind nur der harte Kern und der Sprecher immer da. Ansonsten können Verantwortliche je nach Zeit immer wieder wechseln. So ist es gedacht. Und ich glaube, dass man darüber auch junge Leute gewinnen kann, die sporadisch, schwerpunktmäßig mitarbeiten.
Was haben Sie über sich selbst gelernt?
Dass ich viel mehr kann, als ich eigentlich dachte. Man kann nicht nur im Sport über sich hinauswachsen, man kann auch in einem Ehrenamt über sich hinauswachsen. Es war mir früher nicht bewusst, dass ich die Gabe habe, Leute für eine Sache zu begeistern.
Was wünschen Sie sich abschließend?
Ich würde mir wünschen, dass in unserer Gesellschaft ankommt, dass jeder Mensch gleich ist. Dass unvoreingenommen miteinander umgegangen wird. Egal, wie einer aussieht, welche Sprache er spricht, oder was er kann, oder was er nicht kann. Das wäre mir ganz wichtig, wenn wir es schaffen, das in unserer Gesellschaft zu etablieren.
Das Interview führte Yvonne Fitzenberger.