Brasilianische Prominenz zu Gast in Seligenstadt

„Prominente Gäste des großen Löffels zu Seligenstadt“ und ihr historisches Umfeld sind Thema unserer losen Serie rund um die Seligenstädter Löffelbücher.
Seligenstadt – Die Gästebücher mit vielen tausend Autografen liegen seit dem späten 17. Jahrhundert in Wirtshäusern aus. Der Löffeltrunk wird verdienten Bürgern und Gästen beim Geleitsmahl sowie beim alle vier Jahre veranstalteten Geleitsfest gereicht. Die Autorin der Serie, Dr. Ingrid Firner, hat drei Löffelbücher gesichtet und transkribiert.
Im Jahr 1832 schreibt ein Abenteurer, der Kriegsdienst, weite und strapaziöse Schiffsreisen bis in den Pazifik und abenteuerliche Situationen überlebt, ins Löffelbuch des Wirtshauses „Zum Riesen“: „Georg Anton von Schaeffer, Weltumsegler, Christusritter und Major der Kayserlich-brasilianischen Ehrengarde, eine Nacht beim großen Löffel zu Seligenstadt verbracht“.
Löffelbücher Seligenstadt: Von Bayern über Alaska nach Hawaii
Georg Anton Schaeffer, alias Jorge Antonio von Schaeffer in portugiesischen Quellen, alias Egor Antonowitsch Scheffer in russischen Schriftstücken, geboren 1779 in Münnerstadt, beginnt seinen Lebensweg bürgerlich und unspektakulär. Er studiert Medizin in Würzburg und meldet sich nach seiner Promotion zur alliierten Armee gegen Napoleon, um sein Vaterland von der französischen Besatzung zu befreien. Als Feldchirurg in russischen Diensten unter Zar Alexander I. beweist er Härte und Tatkraft, entwickelt militärischen Ehrgeiz zugunsten des Zarenreichs. Im Jahr 1813 ist Schaeffer Schiffsarzt auf einem russischen Schiff, das er nach einem Streit mit dem Kapitän in Alaska verlässt.
Alaska ist damals eine russische Handelskolonie, Schaeffer schließt sich der russisch-amerikanischen Kompanie an, die vor allem Pelzhandel betreibt. Der Gründer der Handelsgesellschaft, Kaufmann Alexander Andreyewitsch Baranov, beauftragt den abenteuerlustigen Schaeffer im Jahr 1815 mit einer Mission, die zunächst ungefährlich erscheint: Schaeffer soll sich um den Inhalt des Wracks der Handelskaravelle „Bering“ kümmern, die vor der Küste der hawaiianischen Insel Kauai Schiffbruch erlitten hat. Das Schiff hatte kostbare Waren der russischen Handelskompanie geladen, die vom Häuptling der Insel beschlagnahmt wurden.
Auf Kauai angekommen meint Schaeffer, eine Gelegenheit zu erkennen, Hawaii als Kolonie für Russland zu gewinnen, indem er den Konflikt zwischen Häuptling Kamualii und dem hawaiianischen König Kamehameha anheizt. Er schlägt dem Häuptling vor, durch einen Seekrieg gegen Kamehameha und die konkurrierenden amerikanischen Händler die hawaiianischen Inseln unter russischer Fahne zu vereinigen. Seine Aktion scheitert, und Schaeffer muss 1817 Hawaii verlassen. Die finanziellen Verluste der russischen Handelskompanie betragen 200 000 Rubel und Schaeffer wird auf Schadenersatz verklagt.
Er flieht nach Dänemark, wo er erfährt, dass Zar Alexander gerade in Aachen weilt. In großartiger Selbstüberschätzung und ohne aus seinem desaströsen militärischen Abenteuer gelernt zu haben, bittet er Alexander um eine Streitmacht, mit deren Hilfe er nach Hawaii zurückkehren und den russischen Besitz zurückfordern will. Der Zar lehnt ab.
Schaeffer wendet sich bitter enttäuscht von Russland ab und findet in der portugiesischen Kolonie Brasilien ein neues Ziel. Portugal versucht derzeit, seine dortigen Handelsstützpunkte auszubauen und strebt die Gründung eines selbstständigen brasilianischen Kaiserreichs an.
Suche nach Auswanderer in Seligenstadt
Im Jahr 1821 organisiert Schaeffer in Deutschland eine Gruppe Auswanderungswilliger, die er nach Brasilien begleitet, wo sie Land in Bahia erhält und „Frankenthal“, das heutige Ilhéus, als erste erfolgreiche deutsche Siedlung gründet.
1822 erklärt sich der portugiesische Prinz von Braganca zum Kaiser Pedro I. von Brasilien. Seit 1817 ist dieser mit der habsburgischen Erzherzogin Leopoldine verheiratet und versucht nun, Deutsche und Österreicher als Kolonisten, Forscher und vor allem Soldaten für seine neue Armee ins Land zu holen. Schaeffer bietet sich an und kommt im Jahr 1823 nach Frankfurt sowie nach Seligenstadt, um Auswanderer anzuwerben.
In den nächsten Jahren gelingt es ihm, zahlreiche junge, unverheiratete Männer für die brasilianische Armee und deutsche Familien für die neu gegründete Stadt Petropolis nahe Rio de Janeiro zu gewinnen. 1827 reist Schaeffer zurück nach Brasilien und erhofft sich zur Belohnung für seine Dienste seine Adelung. Dies wird ebenso abgelehnt wie seine Forderung, als Botschafter in ein europäisches Land geschickt zu werden.
Dennoch schreibt er sich ins Löffelbuch als geadelter Georg Anton von Schaeffer ein und bezeichnet sich stolz als „Christusritter“, also als Mitglied des berühmten portugiesischen Ordens, der sich als Nachfolgeorden der verbotenen Tempelritter betrachtet. Der selbstbewusste und wagemutige Abenteurer stirbt im Jahr 1836 in Jacarandá in Brasilien.
Drei Jahre nach Schaeffers Besuch in Seligenstadt trifft eine hochrangige brasilianische Delegation im Wirtshaus „Zum Riesen“ ein, die von London kommend auf dem Weg nach Wien ist, wie die Herren auf Französisch schreiben: „Le Vicomte de Rezende, Ministre du Brésil à la cour de Vienne“, also der brasilianische Botschafter in Wien, „compagné du Chevalier d’Almeida et Monsieur de Bellana, venants de Londres à Vienne“. (Von Laura Oehl)