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Mitglieder des englischen Königshauses übernachten in der Krone

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Von: Michael Hofmann

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Victoria von Sachsen-Coburg-Saalfeld. Repros: op
Victoria von Sachsen-Coburg-Saalfeld - Mutter der späteren Queen Victoria, nach der eine ganze Epoche benannt wurde. © privat

Die Gästebücher mit vielen tausend Autografen liegen seit dem späten 17. Jahrhundert in Wirtshäusern aus. Der Löffeltrunk wird verdienten Bürgern und Gästen beim Geleitsmahl sowie beim alle vier Jahre veranstalteten Geleitsfest gereicht. Die Autorin der Serie, Dr. Ingrid Firner, hat drei Löffelbücher gesichtet und transkribiert.

Seligenstadt – Der britische König Charles III. und Queen Camilla kommen heute zum Staatsbesuch nach Deutschland. Die Royals aus London werden am Flughafen mit 21 Schuss Salut empfangen, eine Premiere ist später die Begrüßung mit militärischen Ehren am Brandenburger Tor. Vor knapp 200 Jahren besuchen Mitglieder des englischen Königshauses Seligenstadt. Am 27. März 1819 betreten Edmund Augustus, Duke of Kent and Strathearn, und seine hochschwangere Frau Victoria von Sachsen-Coburg-Saalfeld, verwitwete Fürstin von Leiningen, das Wirtshaus Zur Krone auf dem Freihofplatz, und der stolze Wirt dokumentiert ihr Erscheinen.

Mit Kammerfräulein, Leibarzt und der berühmten Darmstädter Hebamme und ersten deutschen Gynäkologin Charlotte von Siebold sind sie per Schiff von Amorbach über Brüssel nach London unterwegs, denn das Kind mit Anwartschaft auf den englischen Thron soll in England zur Welt kommen. Herzog Edward von Kent ist im Jahr 1767 im Buckingham Palace als Edward Augustus von Hannover und als vierter Sohn von König George III. von Großbritannien, Irland und Hannover geboren. In der Thronfolge steht er hinter seinen Brüdern und bleibt deshalb lange unverheiratet.

Edward Augustus fordert strenge Disziplin seiner Truppen

Er absolviert eine militärische Ausbildung. 1791 erhält er den Oberbefehl über alle englischen Truppen in Kanada, fordert von seinen Leuten extrem strenge Disziplin und erwirbt sich den Ruf eines „Schleifers“. Seit 1802 soll er als Gouverneur von Gibraltar die dortige Truppendisziplin verbessern, was er so drastisch durchsetzt, dass die Regimenter meutern.

Privat lebt Edward Augustus lange Jahre mit seiner französischen Geliebten zusammen. Als sich herausstellt, dass seine Brüder keine ehelichen Kinder haben werden, rückt Edwards zukünftiger legitimer Nachwuchs an vorderste Stelle der englischen Thronfolge. Er sieht sich in den Fürstenhäusern nach einer passenden Ehefrau um und wird in Amorbach fündig. Dort lebt die seit 1814 verwitwete Fürstin Viktoria von Leiningen, geborene Herzogin von Sachsen-Coburg-Saalfeld, mit ihren zwei Kindern.

Vor der Geburt in Seligenstadt: Werdende Mutter Duchess Victoria bemüht Gynäkologin Charlotte von Siebold aus Darmstadt

Sie ist standesgemäß, gilt als schön und hoch gebildet, scheint aber vom englischen Königshaus nicht allzu begeistert begrüßt worden zu sein. Man verabredet also eine Ehe nach politischer Räson und heiratet im Juli 1818. Edward hat Schulden und verschuldet sich noch mehr. Dessen ungeachtet erwartet das Königshaus einen Thronfolger, der über ein wachsendes Kolonialreich herrschen wird, das Napoleon und Frankreich besiegt hat.

Damit nichts schief geht bei der Geburt, haben die Eltern die berühmte Gynäkologin Charlotte von Siebold aus Darmstadt bemüht, die mit ihnen nach London reist. Am 24. Mai 1819 bringt die Duchess Victoria von Kent eine Tochter zur Welt, die nach den Namen ihres Paten, Zar Alexander I., und ihrer Mutter Alexandrina Victoria genannt wird.

Edmund Augustus, Duke of Kent and Strathearn
Edmund Augustus, Duke of Kent and Strathearn © Privat

Die tüchtige Charlotte von Siebold stammt aus einer Darmstädter Arztfamilie. Ihr Vater ist Amtsarzt, und die Mutter studiert als eine der ersten Frauen in Deutschland Medizin und erhält die „Ehrendoktorwürde der Entbindungskunst“. 1814 legt Charlotte in Darmstadt ihre medizinische Prüfung mit Schwerpunkt Geburtshilfe ab und promoviert 1817 in Göttingen. Sie genießt einen ausgezeichneten Ruf und wird häufig an Fürstenhöfe gerufen. Die kleine Victoria wird nach der Geburt gegen Pocken geimpft und von der eigenen Mutter gestillt, eine Sensation nicht nur im englischen Königshaus. Der zufriedene Vater Edward Augustus kann seine kleine Tochter nicht lange bewundern, denn er stirbt schon acht Monate nach ihrer Geburt an einer Lungenentzündung.

Mutter Viktoria bleibt trotz der Antipathie ihres königlichen Schwagers George IV. in England, erhält eine knappe Apanage und benötigt die finanzielle Unterstützung ihres Bruders, König Leopold I. von Belgien. Die Schulden ihrer Eltern wird erst Tochter Victoria als Queen von Großbritannien und Irland und Kaiserin von Indien begleichen können. Obwohl Victoria im Kensington Palace aufgrund der ungünstigen Position ihrer Mutter isoliert aufwächst, rebelliert sie schon als Sechzehnjährige. Sie bricht mit ihrer Mutter und besteigt 1837 achtzehnjährig den Thron. Sie übersteht mehrere Attentate, kann ihre Regentschaft festigen und heiratet 1840 ihren Cousin Prinz Albert von Sachsen-Coburg-Gotha, ihre große Liebe. Die beiden haben viele Kinder, und als Albert 1861 stirbt, fällt Victoria in eine Depression und erscheint kaum noch in der Öffentlichkeit. Nach Queen Victoria wird ein ganzes Zeitalter benannt, und sie gilt im Alter als Großmutter der europäischen Herrscherhäuser. (Von Michael Hofmann)

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