Nach fünf Jahren Pause: Ausländerbeirat Seligenstadt steckt sich neue Ziele

Noch fehlt ein bisschen Mut. Wenn die Vertreter des Seligenstädter Ausländerbeirats in den Sitzungen der städtischen Ausschüsse und des Parlaments sitzen, wollen sie mitreden bei Themen, die ihnen wichtig sind. Doch dann kommen Unsicherheit und Aufregung dazwischen. „Wir sind eben keine Politiker“, sagt Ergün Kumcu, Vorsitzender des sechsköpfigen Gremiums.
Seligenstadt – Kumcu ist der einzige alte Hase in der Runde, war bereits bis 2015 Vorsitzender des Ausländerbeirats. Dann der Einschnitt: Mangels Kandidaten fand keine Neuwahl statt. „Ich war sehr traurig darüber, denn wir haben unsere Daseinsberechtigung. Da hat etwas gefehlt. Für mich war das auch eine persönliche Niederlage“, sagt Kumcu.
Als er 2010 das Amt übernahm, kam zunächst monatelang niemand in seine Sprechstunde. Am Ende, sagt er, hätte er mehrere Stunden im Büro im Rathaus sitzen können, so viele Menschen suchten bei ihm Rat rund um Themen wie Wohnen, Hartz IV, Rente. Auch während der fünfjährigen Pause blieb er Ansprechpartner, führte seine Sprechstunden einfach im Café Haas im Niederfeld weiter und besuchte Sitzungen, um den Anschluss nicht zu verlieren.
Der Neustart glückte bei den Wahlen im vergangenen März, wenn auch nur knapp. Rund 20 Personen hatten Kumcu ursprünglich für eine Kandidatur zugesagt. Interessierte aus den Balkanstaaten und aktuellen Flüchtlingsländern hatten er und seine Mitstreiter zusammengetrommelt, daneben Italiener, Polen, Tschechen, um möglichst viele Kulturen im Beirat vereinen zu können.
Doch je näher die Wahl gerückt war, umso mehr waren vor den Aufgaben zurückgeschreckt und abgesprungen. Mit Mehmet Uslu, Mert Kadir Uslu, Tahsin Dinc, Hilmi Yildirim und Walid Ahmad hat Ergün Kumcu jetzt aber ein motiviertes und verlässliches Team. „Da hat sich die Spreu vom Weizen getrennt“, sagt Tahsin Dinc. Einziger Wermutstropfen: Frauen sind in der Runde nicht vertreten.
Die Mitglieder des Ausländerbeirats treffen sich immer sonntags im Nachbarschaftshaus. Zurzeit planen sie eine Veranstaltung, mit der sie wieder stärker ins Blickfeld der Seligenstädter Bevölkerung rücken möchten. Ihr Wunsch ist, dass Erdogan Karakaya vom Polizeipräsidium Südosthessen dort zum Thema Extremismus spricht.
Die zunehmende Spaltung der Gesellschaft bereitet dem Ausländerbeirat Sorge. „Der gegenseitige Respekt nimmt immer mehr ab. Wir sind nun einmal ein Multikulti-Land. Alle Seiten müssen sich zusammennehmen, zusammenarbeiten. Nur so können wir aufblühen“, sagt Mehmet Uslu. Tieftraurig habe ihn der Zwischenfall während der Einweihung des Begegnungsortes „Zum Dialog“ auf der der Bleiche in Seligenstadt gemacht. Jugendliche hatten „Halt die Fresse!“ gerufen, als Imam Fraz Rana aus dem Koran gelesen hatte.
„Wir verstehen uns als Brückenbauer“, sagt Vorsitzender Ergün Kumcu. Und: „Die Leute können mit fast allen Problemen, die sie im Leben haben, zu uns kommen.“ Unter den Nägeln brennt dem Ausländerbeirat auch das Thema sozialer Wohnungsbau. „Hier wird zu wenig getan. Die Sozialwohnungen, die es gibt, reichen vorne und hinten nicht“, sagt Kumcu und berichtet von rund 200 Personen nebst Familien in Seligenstadt, die dringend auf Wohnraum angewiesen seien.
Enttäuscht sind er und seine Beiratskollegen daher von den Plänen für das Baugebiet Südwestlich des Westrings. „Für uns ist das ein emotionales Thema. Die Leute kommen zu uns, weil sie keine Wohnung haben, und dort wird über Paläste gesprochen, die über eine Million kosten pro Familie“, sagt Tahsin Dinc, der die Debatte in der jüngsten Stadtverordnetenversammlung verfolgt hat. In einer Sitzung des Bauausschusses sei die Bemerkung „Wir wollen dort kein Ghetto“ gefallen. Dass es dieses Bild in den Köpfen der Menschen noch gebe, sei ihm sehr nahegegangen, sagt Ergün Kumcu.
Der Vorsitzende wünscht sich, in Sitzungen auch mal angesprochen und einbezogen zu werden. Für die Zukunft haben er und seine Mitstreiter sich aber fest vorgenommen, sich nicht mehr von Unsicherheiten ausbremsen zu lassen. Daneben gilt es, die nachfolgenden Generationen für die Arbeit des Ausländerbeirats zu begeistern – denn Kumcu hat bereits angekündigt, seine fünfjährige Amtszeit nicht voll ausschöpfen zu wollen. „Einer von den Jungs wird übernehmen müssen. Meine Eltern möchten in die Türkei zurückkehren und ich werde sie begleiten“, sagt der Frührentner, der als Kleinkind mit seiner Familie nach Deutschland kam. Der Abschied von Seligenstadt wird dem Vater dreier Kinder unendlich schwerfallen. „Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht, das ist meine Heimat, meine Stadt. Ich bin echter Sellestädter.“ (Franziska Jäger)
Sprechstunde des Ausländerbeirats: wöchentlich donnerstags, 16.30 bis 18 Uhr, im „Haus Sonne“ am Seligenstädter Rathaus, Telefon 06182 878890