Närrische Exkursion ins Herz des Schlumberlands

Trotz Absagen von Umzügen und Saalfastnacht lässt sich das närrische Volk in der Einhardstadt die gute Stimmung nicht nehmen. So führt der Seligenstädter und das Bütten-Ass Roland Wolf aktuell regelmäßig Interessierte durchs Schlumberland - auf den Spuren des Rosenmontagzugs.
Schlumberland – Es ist wie beim Rosenmontagszug, ein bisschen zumindest: Metallbänder auf gedrechselten Rädern lassen den Wagen übers Kopfsteinpflaster poltern, Guzjer fliegen, Menschen stehen am Straßenrand. Die Damen mit den Ketten aus bunten Kunststoffblumen über den dicken Jacken geben im passenden Moment eine „Helau!“-Salve ab, das dreimalige Tufftää hat der Roland ihnen noch vor der evangelischen Kirche beigebracht. Bütten-Ass Roland Wolf hat das Beste aus den Pandemieregeln gemacht und leitet samstags eine Fastnachtsführung, tief ins Herz der Einhardstadt.
Mit zwei Dutzend alten Hasen und jungen Hüpfern geht das - natürlich nicht ohne Hygieneregeln. Die händigt der Mann mit der riesigen Pappkappe schriftlich aus. Vor dem Portal des Gotteshauses am Rande des touristischen Epizentrums zieht’s wie Hechtsuppe, aber das macht zumindest den einstigen Tänzerinnen aus dem Hainhäuser Sportverein nichts aus.
Eine von ihnen bewirbt sich auch um den Job, mit der Fastnachtsfahne den Schluss des närrischen Lindwurms zu markieren. Roland nutzt die Gelegenheit und gibt ein weiteres Kapitel Karnevalskunde: Rot, weiß, blau sind wohl die Farben der französischen Besatzer gewesen, nur quer und in umgekehrter Reihenfolge.
Rosenmontagszug führt seit 1879 durch die Gassen Seligenstadts
Der gelbe Streifen repräsentiere wohl die Kirche, mutmaßt der Fremdenführer. Sicherer ist er in seinen Vorträgen und Kalauern, die er versiert ins Programm einbaut. Er nutze die FFP2-Maske als Kaffeefiltertüte und habe noch 20 Klorollen in der Gefriertruhe. Apropos: Drei öffentliche Toiletten säumen die „Sitzung to go“, die nächste komme nach 45 Minuten! Damit wäre alles geklärt, Roland schnappt sich die Deichsel und chauffiert die Schwellköpp’, die Willi Eiles vom Heimatbund vor 70 Jahren schuf.
Der echte Zug schlängelt sich seit 1879 durch die Gassen, irgendwann kam der Lindwurm des Nachwuchs’ dazu. All die mühevoll gestalteten Motive auf den Wagen werden am Fastnachtsdienstag in einem Ritual „kaputt gemacht“. Und schon ewig erheben die Seligenstädter einen „Nadelpfennig“ für die aufwendigen Kostüme der Fußgruppen, der bis Corona auf ein paar Euro als „Eintritt“ an den Einfalltoren angeschwollen ist.

Zwischen ein paar fein zusammengeschusterten Versen spekuliert Wolf über die Bedeutung des Rosenmontags: „Das entwickelte sich wohl im rheinländischen Dialekt aus dem Rasen der Narren!“ Später erfahren die aufmerksamen Zuhörer, was Fastnacht, Karneval und Fasching bedeuten: die Nacht vor der Fastenzeit, die „Wegnahme von Fleisch“, Carne, und „das letzte alkoholische Getränk“.
Bei den 40 Tagen bis Ostern zählen die Sonntage nicht, lernt die Gruppe. Und gefastet wurde später auch ab dem Martinstag, dem 11. 11. „Da gab’s ne riesen Sause, beim letzten großen Essen vor Heilignacht musste alles Verderbliche vertilgt werden, es gab ja keinen Kühlschrank.“
Teilnehmer schmettern die Seligenstädter Hymne
Dann bringt Roland Wolf den Besuchern noch die Seligenstädter Hymne bei, Strophen und Refrain. Sie wird vor jedem der denkwürdigen Punkte geschmettert, der nächste ist das Pfarrhaus. Es erinnert den Mann mit der auffälligen Mütze an den Himmel, den er bei der Fronleichnamsprozession trug. Ein Stab brach, das Tuch ließ den damaligen Pfarrer Dieter Ludwig mitsamt Monstranz verschwinden! Wolf witzelt noch über das Geschäft mit den Sünden, bringt eine App auf dem Handy ins Spiel, „vielleicht mit Bonusprogramm für Vielsünder und Goldkarte mit sieben Vergehen gratis.“ Die Premiumversion übernehme die Buße und die Kirchensteuer.

Über den Freihofplatz erreicht die Bande Schuster und Pressehaus: „Stell Dich auf den Dalles, denn da erfährst du alles“, ertönt die passende Liedstrophe. Vorm Einhardhaus plaudert Wolf über Fahrradständer am Rathaus, die über Nacht ihren Standort wechselten.
Die aufmerksamen Schüler lernen auch, welche Geheimnistuerei ein neues Prinzenpaar umgibt. Seit 1949 deuten drei weise Schlumberländer zuerst einen verheirateten Mann aus. Nach seiner Zusage suche der sich seine Prinzessin, die Namen werden geheim gehalten und geistern nur als Gerüchte durch die Gassen – was zu Notlügen und auf allerlei falsche Fährten führe. Einmal gekrönt müsse ein Paar die Kampagne hindurch vereint feiern.
Hinter dem Bollerwagen her auf den Spuren des Rosenmontagszugs in Seligenstadt
Unter dem Riesensaal klärt der Kenner auf, dass der Narhalla-Marsch einer Oper entliehen sei und mit dem Titel Ritzamba wahrscheinlich kein „Ritz am Bein“ gemeint war, sondern der französische General Recambeau, der die Fastnacht verbieten wollte. Was erst heute der Corona-Politik gelingt! Egal, der Bollerwagen poltert weiter.
Durch Mauergasse und Wallstraße gelangt die fröhliche Gruppe auf einen Platz, der mit umgestülpten Gläsern eine Stärkung ankündigt. Aber erst noch eine Lektion Heimatkunde. „Schlumbern“, setzt Roland Wolf an, „so haben sie das Kämmen von Wolle und Flachs zu Fadensträngen genannt. Und wenn beim Weben der Querfaden mit dem Schiffchen von der einen zur anderen Seite geschlupft ist“. Daraus entstand das „Schlumpfen“ und das „Schlumbern“. „Die Schlumber sind lustige und gesellige Menschen, mit viel Sinn für Humor“, zitiert der Fremdenführer.
Dann öffnet er den ersten Bocksbeutel „Schlumberländer Fastnachtsschoppe“. Allein die Kälte und die nächste Führung fordern einen raschen Abgesang. Auf den, der im faden Alltag als IT-Manager hibb- und dribbdebach den Bytes nachjagt, ein dreifach donnerndes.....! (Michael Prochnow)