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Offen und geschützt reden in Seligenstadts neuem Frauencafé

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Von: Julius Fastnacht

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„Dieses Sprechen fehlt vielen“, sagt Christelle Djoukam (rechts) über das Frauencafé. Verena May, Seligenstadts neue Frauenbeauftragte, richtet es einmal im Monat aus.
„Dieses Sprechen fehlt vielen“, sagt Christelle Djoukam (rechts) über das Frauencafé. Verena May, Seligenstadts neue Frauenbeauftragte, richtet es einmal im Monat aus. © Fastnacht

Das Frauencafé - initiiert von Seligenstadts Frauenbeauftragten Verena May - bietet Frauen und Mädchen einen geschützten Raum, um sich auszutauschen.

Seligenstadt – Als sie zehn war, schaltete Cemre aus Langeweile den Fernseher ein. Und das, was über den Bildschirm flimmerte, ließ sie nicht mehr los – ein Bericht über Gewalt an Frauen in ihrer alten Heimat, der Türkei. „Ich habe gesehen, dass Frauen gekidnappt, sexuell missbraucht, getötet werden“, erinnert sich die Jugendliche. Mit ihrer Mutter sitzt sie im Nachbarschaftshaus am Hasenpfad. Heute trifft sich das Frauencafé, das Seligenstadts neue Frauenbeauftragte Verena May im Monatsrhythmus initiiert hat.

Vor vier Jahren flüchtete Cemre (Name von der Redaktion geändert) gemeinsam mit ihrer Familie aus der Türkei. „Wegen der politischen Lage, wegen Erdogan“, wie sie sagt. Die Situation im Land verfolgt sie trotzdem genau. „In einem Artikel von der Deutschen Welle habe ich gerade gelesen, dass Männer in der Türkei letztes Jahr 334 Frauen getötet haben“, erzählt sie. Laut Bundeskriminalamt wurden 2021 auch in Deutschland 113 Frauen Opfer eines Femizids, eines Frauenmords.

Wie sensibilisieren für die Stellung der Frau in unserer Gesellschaft, fragen sich die acht Besucherinnen des Frauencafés. Schließlich rückt der 8. März näher und damit die Gelegenheit, die Zeit rund um den Weltfrauentag für eine öffentlichkeitswirksame Aktion zu nutzen.

Auf dem Tisch steht Streuselkuchen, dunkler Kaffee tröpfelt aus der Kanne. Wenn die Frauen sprechen, heben sie ihre Stimme, hinter ihnen wirft ein Kind mit Spielzeug um sich. Das ist auch das Frauencafé: ein Ort, um beisammenzusitzen. Geschützt, ungestört. „Als wir in Deutschland angekommen waren, wollten meine Eltern gerne in einen kleineren Ort wie Seligenstadt“, erinnert sich Cemre. In der Hoffnung, weniger türkischsprachige Menschen zu treffen, und dadurch schneller Deutsch zu lernen. Eine Institution wie das Frauencafé fehlte ihrer Mutter dann doch. „So was ist gut für das soziale Leben, die Gemeinschaft“, sagt Cemre.

Auch Christelle Djoukam schätzt den Austausch zwischen Frauen. „Es ist der dritte Termin, ich bin das dritte Mal da“, sagt die 37-Jährige. Djoukam kennt die Frauenbeauftragte Verena May. Eine Zeit lang war die gebürtige Kamerunerin Französisch-Lehrerin von Mays Kindern. „Das Frauencafé gibt mir das Gefühl, viele Alltagsprobleme lösen zu können“, fügt Djoukam hinzu. 2012 kam sie mit ihrem Mann nach Deutschland, erst nach Offenbach, dann nach Seligenstadt. Mittlerweile hat sie drei Söhne.

Gerade am Anfang fehlte ihr ein Raum zum Sprechen. „Integration ist nicht einfach. Es gibt viele Missverständnisse – unter anderem im Verhältnis zwischen Mann und Frau“, meint Djoukam. Jahrelang habe sie sich nicht getraut, zu Hause mehr Unterstützung einzufordern. Djoukam ist überzeugt: An der Möglichkeit, zu kommunizieren, mangelt es vielen Menschen mit Migrationserfahrung, vor allem Frauen. Aufklärung und offener Austausch – für sie selbst waren das entscheidende Schlüssel. Djoukam hat ein Buch geschrieben, in dem sie ihr Leben in Afrika verarbeitet, aber auch die Erlebnisse ihrer Schwester, die eine beschwerliche Reise durch die Sahara und übers Mittelmeer hinter sich gebracht hat, um in Europa anzukommen. Gerade liegt es einem Verlag vor. „Viele Frauen sehen Europa als Paradies. Ich wollte auch über die Schwierigkeiten berichten.“

Im Frauencafé nimmt die Debatte darum, wie die Gruppe die Tage rund um den 8. März denn nun gestalten möchte, an Fahrt auf: eher feierlich, oder dann doch mit einem ernsten Fokus? „Gewalt zieht immer so runter“, meint eine der Teilnehmerinnen. So kommt es zu einem Kompromiss: Verschiedene Rednerinnen sollen präsentieren, wie Frauen in ihren jeweiligen Kulturen den Tag begehen.

Und da meldet sich auch Cemre, sie möchte zum Weltfrauentag sprechen. Die Teilnehmerinnen klatschen, das erste Mal an diesem Tag. Cemre lächelt und Christelle Djoukam sagt: „Starke Mädchen sind schön.“ (Von Julius Fastnacht)

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