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„Machen ein Stück Natur platt“

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Die „Engstelle“ der geplanten Trasse des dritten Bauabschnitts der Umgehungsstraße zwischen dem Eichwaldhof Neubauer und der Nordseite der Seligenstädter Kläranlage.
Die „Engstelle“ der geplanten Trasse des dritten Bauabschnitts der Umgehungsstraße zwischen dem Eichwaldhof Neubauer und der Nordseite der Seligenstädter Kläranlage. © paw

Seligenstadt - Seit die Stadtverordnetenversammlung im Dezember 2014 den letzten Abschnitt der Seligenstädter Ortsumfahrung auf den Weg gebracht hat, ist für viele das Thema bis zur Planfeststellung vom Tisch. Von Sabine Müller

Doch die „Bahntrasse“ wird neues Terrain belasten: Neben den Grundstücksbesitzern An der Pfingstweide verfolgen die Kleingärtner und Landwirt Neubauer im Gebiet „Am Eichwald“ die Vermessungsarbeiten und Baugrunduntersuchungen mit Sorge. In der Herbstsonne leuchten die Dahlien, Kohlköpfe haben sich in den Beeten breit gemacht: Die Mitglieder des Kleingärtnervereins „Am Eichwald“, 1922 gegründet und etwa 42.000 Quadratmeter groß, genießen den Altweibersommer in ihrem Schrebergarten. Vereinsvorsitzender Karl-Heinz Metzner, 68 Jahre alt, arbeitete Jahrzehnte beim Metallveredler Kronenberger im Gewerbegebiet Nord und wohnt in der Berliner Straße. So wie viele Familien, die in den Blocks des Stadtteils Niederfeld nur eine Wohnung mit Balkon haben, und die Möglichkeit nutzen, in der Nähe ein Grundstück bewirtschaften zu können. Manche schon seit 50 Jahren und bevorzugt im hinteren Teil der Anlage. Auch Metzners Grundstück liegt am Feldrand – „also genau im bedrohten Gebiet“.

Vermessen wurde bereits: Metzner zeigt auf gelbe Markierungsknöpfe auf dem Kiesweg. Wie viele der 167 Parzellen – jeweils 150 bis 400 Quadratmeter groß – der neuen Umgehungsstraße weichen müssen, weiß er noch nicht. Nach Auskunft von Hessen Mobil erfährt er die genaue Streckenführung vielleicht in Kürze. „Das Dumme ist das Ungewisse. Die Nummern 125 bis 129 fallen auf jeden Fall weg. Aber was sage ich den anderen Gärtnern im Veilchen- und Rosenweg, die wegen der Straße kündigen wollen?“ Drei haben dies bereits getan, ihre Parzellen konnte Metzner noch weitervermitteln; 49 bis 60 Grundstücke, schätzt er, könnte die Anlage letztlich einbüßen. „Oder ein Teil bleibt erhalten, wird aber durch die Straße abgeschnitten. Wie kommen die Besitzer dann dorthin?“ Bisher hat Metzner geraten, abzuwarten. Denn weder vom Verein noch von der Stadt kann der abgebende Pächter eine Entschädigung erwarten. Sollte er für seinen Garten keinen Nachfolger finden, bliebe er auf der von der Wertermittlungskommission errechneten Ablösesumme sitzen, die sich im vierstelligen Bereich bewegt. „Der Rechtsanwalt sagt, vielleicht zahlt das Land etwas, aber ob und wie viel ist fraglich.“ Ein gepflegtes Grundstück erziele aber eventuell einen höheren Wert. Als Teil der Vereinigten Bürgerinitiativen Seligenstadt (VBS) hatte der Kleingärtnerverein im September 2015 gegen die Vorzugsvariante einen Bürgerentscheid angestrengt. Bekanntlich ohne Erfolg. Für Karl-Heinz Metzner ist die „Bahntrasse“ eine Innerortsumgehung, die für den Verein Lärm, Abgase und belastetes Gemüse als Folge hat. „Die argumentieren mit Naturschutz“, sagt er, „und machen hier ein Stück Natur platt. Ich hab in meinem Garten auch Schnecken, Schlangen, Igel und Vögel.“

Auch Familie Neubauer hatte mit der VBS alternativ zur Vorzugsvariante die Weiterführung der Umfahrung ab dem „Hochkreisel“ gefordert. So wären der Eichwaldhof und ihre Existenzgrundlage nicht direkt betroffen. Jetzt soll die Strecke vor ihrer Hofeinfahrt mit einem Schwenk nach links über ihren ein Hektar großen Acker zwischen Maschinenhalle und Heimatbundhalle verlaufen. Stephan Neubauer ist „Kartoffelbauer“ in dritter Generation; der größte Erzeuger im hiesigen Ostkreis hat zehn Sorten im Angebot. Sie ist Anbauschwerpunkt neben Kürbissen, Weizen, Roggen und Sommergerste. Dabei eigne sich nicht jeder Standort, informieren die Neubauers. Von ihren insgesamt 60 Hektar Ackerfläche sei nur die Hälfte für Kartoffelanbau geeignet, von der wiederum jedes Jahr nur zehn Hektar im Drei-Jahres-Rhythmus genutzt werden könnten. „Wird der Westring bebaut, verlieren wir weitere fünf Hektar“, sagt Agrartechniker Neubauer, „dann können wir nur noch zwei Drittel der jetzigen Kartoffelanbau-Fläche nutzen.“ Für die Landwirtsfamilie sind viele Fragen offen: Wo werden Ausgleichsflächen ausgewiesen? Wie wird ihr Anwesen künftig angebunden sein? Wird der Hofladen von der Straße profitieren oder darunter leiden? Durch Umleitungen in der einjährigen Bauphase rechnet sie mit Umsatzeinbußen. „Allgemeinwohl geht vor Einzelwohl“, sagt Elke Neubauer. „Doch für uns privat und für die Landwirtschaft ist die Straße ein Nachteil. Und wir glauben nicht, dass sie den Effekt bringt, den die Leute erhoffen.“

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