Pfarrerin Krauß-Buck: „Männliche“ Wirklichkeit dominiert

Im Interview sprechen Emma-Klinik-Geschäftsführerin Dagmar Wagner und Pfarrerin Leonie Krauß-Buck über die Bedeutung des Weltfrauentags und die Rolle der Frau.
Seligenstadt – Der internationale Weltfrauentag am 8. März wird seit Jahrzehnten ausgerichtet. Seinen Ursprung hat er in Frauenrechtsbewegungen 1909 in den USA – Frauen demonstrierten für das Wahlrecht. Die Idee, an einem festgelegten Tag zu protestieren, kam 1910 nach Europa. Aus diesem Kampf heraus wurde im März 1911 der erste Frauentag unter anderem in Deutschland begangen.
Welche Bedeutung dieser Tag heute noch hat und wie sich die angestrebte Gleichstellung für alle entwickelt hat, darüber sprechen Leonie Krauß-Buck, Pfarrerin der evangelischen Kirchengemeinde Seligenstadt und Mainhausen, und Dagmar Wagner, Geschäftsführerin der Emma-Klinik, im Interview.

Frau Krauß-Buck, was bedeutet Ihnen der Weltfrauentag?
Der Weltfrauentag hat für mich persönlich keine Bedeutung. Ich habe insgesamt eine „Sperre“ im Blick auf symbolisch aufgewertete Tage, die inhaltlich wenig gefüllt sind.
Was meinen Sie damit?
Ein Weltfrauentag macht ja nur dann Sinn, wenn es auch einen Weltmännertag oder einen Weltdiversitytag gäbe. Dann würde ich mich freuen, wenn am Weltmännertag alle Männer von ihren Chefinnen einen Blumenstrauß bekämen und darüber diskutiert würde, wie die Männer es wohl schaffen können, gleich bezahlt und ähnlich wertgeschätzt und respektiert zu werden wie die Frauen.
Denken Sie, dass sich die Stellung der Frau in den vergangenen Jahren verbessert hat?
Wenn sich Ihre Frage ausschließlich auf Westeuropa bezieht, denke ich, dass sich hier etwas verbessert hat. Global gesehen fürchte ich, dass sich die Situation eher verschlechtert hat. Da fallen mir zum Beispiel sofort die Frauen in Afghanistan und im Iran ein.
Auf welche großen Herausforderungen stoßen Frauen?
Die größte Herausforderung scheint mir zu sein, hier tatsächlich gleichberechtigte Lebens- und Entscheidungsmöglichkeiten zu fordern und zu erreichen, solange vorzugsweise „männliche“ Lebenswirklichkeiten in der Gesamtwahrnehmung dominieren.
Was muss sich noch ändern, damit Männer und Frauen in der Gesellschaft gleichgestellt sind?
Diese Frage erfordert komplexe Antworten, die ich in der Schnelle nicht liefern kann: „Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit“ wäre eine erste Antwort. Eine zweite: Einführung von unterschiedlichen und höchst flexiblen Arbeitszeitmodellen, die sich vor allem an gesellschaftlichen Erfordernissen orientieren – Schwangerschaft ist kein Defizit, Kinderbegleitung und Pflege von hilfsbedürftigen Angehörigen sind kein Hobby.
Und eine dritte?
Eine dritte Antwort kommt mit mehreren Fragen daher: Warum setzt sich nur zögerlich in der Medizin die Erkenntnis um, dass Frauenkörper nicht immer so funktionieren wie Männerkörper? Wieso ist Menstruation immer noch ein Tabuthema? Wieso sind weibliche Geschlechtsteile entweder sexualisiert, diskriminiert oder tabuisiert? Warum muss die Diskussion über Schwangerschaftsabbrüche in jeder Generation neu ausgefochten werden? Und da fiele mir noch so sehr viel mehr ein.

Frau Wagner, welche Bedeutung hat der Weltfrauentag für Sie?
Vor dem Hintergrund, dass Frauen in vielen Ländern dieser Erde nicht nur gegen den Hunger kämpfen müssen, sie Bedrohung und Gewalt ausgesetzt sind und dies bereits im Kindesalter und ihnen darüber hinaus der Zugang zu Bildung, Ausbildung und Beruf verwehrt wird, hat dieser Tag eine weitreichende Signalwirkung. Die jüngsten Entwicklungen in unserer globalen Welt zeigen gerade aktuell, wie wichtig es ist, hinzuschauen. Insofern halte ich den Weltfrauentag für wichtig.
Wie sehen Sie den Mangel an Frauen in Führungsposition?
Frauen machen rund 50 Prozent der Bevölkerung aus und sind trotzdem in Führungspositionen unterrepräsentiert. An der Qualifikation von Frauen fehlt es ausweislich diverser Studien nicht. Die Erwerbsquote von Frauen liegt bei zirka 80 Prozent und trotzdem sind sie auf den Führungsebenen nur mit 25 Prozent vertreten. Es gibt Studien, wonach Unternehmen mit mehr als zwei Frauen in Führungspositionen höhere Gewinne generieren, als die Konkurrenz.
Welches Signal sollte das an Arbeitgeber senden?
Demzufolge sind Arbeitgeber gut beraten, wenn sie bei gleicher Qualifikation Frauen in Führungspositionen berufen. Insbesondere dann, wenn eine Doppelspitze, beispielsweise auf Geschäftsführungsebene, vorgesehen ist, bin ich der Auffassung, dass das Unternehmen sehr davon profitieren kann.
Was glauben Sie, würde sich an unserer Arbeitswelt ändern, wenn mehr Frauen Führungspositionen einnehmen?
Frauen allgemein und selbstverständlich auch in Führungspositionen sind grundsätzlich sehr gut organisiert. Frauen haben eher einen Blick für die Bedürfnisse ihrer Beschäftigten – Männer und Frauen gleichermaßen –, insbesondere im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Welche Wirkung könnte das haben?
Dies wirkt sich vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels positiv auf das Unternehmen aus. Frauen arbeiten aufgrund der vielen – auch außerberuflichen – Verpflichtungen sehr effizient. Die gesellschaftliche Sicht auf erwerbstätige Frauen und hier besonders auf Frauen in Führungspositionen würde sich – auch wenn dies einige Zeit in Anspruch nehmen würde – verändern und die Frau in Führungsposition wäre nichts Besonderes oder Außergewöhnliches mehr und dies führte wiederum dazu, dass mehr Frauen eine Führungsposition für sich beanspruchen beziehungsweise einfordern.
Was muss sich noch ändern, damit Männer und Frauen in der Arbeitswelt gleichgestellt sind?
Equal Pay, also gleiches Geld für gleiche Arbeit, ist hier sicherlich ein Schlagwort, aber wir brauchen in unserer Gesellschaft grundsätzlich auch ein Umdenken. Die erwerbstätige Frau muss – genauso wie es seit Ewigkeiten für Männer gilt – aufgrund ihrer Wertschöpfung, die sie mit ihrer Arbeitskraft für die Gesellschaft erbringt, Wertschätzung erfahren und nicht auf ihre Rolle innerhalb der Familie reduziert werden.
Das Interview führte Yvonne Fitzenberger.