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„Phasenweise sehr angespannt“: Asklepios-Chefarzt Nikos Stergiou spricht über Corona-Situation

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Von: Julia Oppenländer

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Betreten verboten: Für die Coronastation der Asklepios-Klinik gelten Zutrittsbeschränkungen. Die Lage dort ist aber im Moment etwas entspannter als noch vor einigen Wochen, sagt Chefarzt Dr. Nikos Stergiou.
Betreten verboten: Für die Coronastation der Asklepios-Klinik gelten Zutrittsbeschränkungen. Die Lage dort ist aber im Moment etwas entspannter als noch vor einigen Wochen, sagt Chefarzt Dr. Nikos Stergiou. © Oppenländer

Nikos Stergiou ist Chefarzt für Innere Medizin an der Asklepios-Klinik in Seligenstadt. Seit Beginn der Corona-Pandemie müssen er und seine Kollegen sich mit ständig wechselnden Regelungen, uneinsichtigen Patienten und Notfallplänen auseinandersetzen. Im Interview spricht er über die aktuelle Lage in der Einhardstadt, Corona-Leugner und Frust bei den Mitarbeitern.

Wir erleben die vierte Corona-Welle. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage?

Die vierte Welle hat uns mit Vehemenz erreicht, aber wir waren aufgrund unserer Vorerfahrung gut vorbereitet. Zwischenzeitlich waren sowohl die Intensivstation als auch unsere Covid-Normalstation ausgelastet, teils über die geforderte Norm belegt, aber in den letzten Tagen stellen wir erfreulicherweise einen Rückgang der Auslastung fest.

Wie ist die Situation bei Ihnen in der Klinik?

Auch bei uns wird in dieser der vierten Welle folgenden Omikron-Welle nun erlebbar, dass die Schwere der Erkrankung, das heißt, die Anzahl der intensivpflichtigen Patienten, zurückgeht. Wohingegen offenbar die Anzahl der Infizierten in der Bevölkerung zunimmt, allerdings nicht mit der sich hieraus ergebenden Konsequenz, stationär behandelt zu werden.

Welche Rolle spielt die Omikron-Variante bei Ihnen?

Der Nachweis der Omikron-Variante nimmt zu, aber wir haben eben zeitgleich weniger Patienten zur stationären Aufnahme.

Immer wieder wird von einer kritischen Lage auf der Intensivstation gesprochen. Wie sieht es in Seligenstadt aus?

Die Situation war phasenweise sehr angespannt. Durch eine sehr gute Kooperation mit unserer Partnerklinik in Langen konnten wir uns gegenseitig helfen, so auch schwer Erkrankte, die eine Herz-/Lungenmaschine brauchten, dorthin verlegen, um weniger schwer Erkrankte, die nur am Beatmungsgerät zu behandeln waren, zu uns zu übernehmen. Diese Kooperation war ein Garant für die Sicherstellung der Versorgung der Patientinnen und Patienten aus dem Kreis Offenbach.

Gibt es noch genug Betten auf der normalen Corona-Station und musste diese erweitert werden?

Wir können unsere Corona-Normalstation zum einen an die verpflichtenden Vorgaben des Hessischen Sozialministeriums anpassen, liegen aber seit Wochen über der geforderten Norm, die sich wöchentlich ändert. Wir haben genug Bettenkapazität, um auch hier noch zu erweitern, falls dies erforderlich würde. Dies muss dann aber durch zusätzliches Pflegepersonal auf dieser Station betreut werden.

Wie verteilen sich geimpfte und ungeimpfte Patienten unter den Corona-Patienten?

In Seligenstadt hatten wir auf unserer Intensivstation während der letzten Monate ausschließlich ungeimpfte Patienten, die schwer an Corona erkrankten. Anders ist dies auf Normalstation, wo wir sowohl ungeimpfte als auch geimpfte Patienten haben, deren Hauptproblem die sich aufgrund von Vorerkrankungen destabilisierende Gesundheitssituation ist. Hier halten sich ungeimpfte und geimpfte Patienten während der letzten Wochen im Wesentlichen die Waage.

Hinterfragen ungeimpfte Patienten oder ihre Angehörigen öfter die Behandlung?

Nein, das lässt sich nicht feststellen. Wir haben allerdings ungeimpfte Patienten, die, wenn erst einmal mit der Notwendigkeit der intensivmedizinischen Behandlung konfrontiert, großes Einsehen haben und sich wünschen, geimpft gewesen zu sein, weil sie bei schweren Verläufen doch erhebliche Einschränkungen und Beschwerden hatten, gerade bei Luftnot und fortschreitender Angst, die damit einhergeht.

Gab es auch schon Patienten, die Corona komplett geleugnet haben? Falls ja, wie schwer fiel der Umgang mit diesen?

Selbstverständlich gab es sogar positive Patienten, die an ihrer Meinung festhielten, dass es sich bei ihnen nur um einen grippalen Infekt handelte, der schwerer verlief. Hier waren Nachsicht und Geduld und manchmal sogar einfach nur Akzeptanz von Nöten.

Was sagt das Personal zur aktuellen Situation? Wie geht es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern? Gibt es Frust oder Wut im Team?

Wir haben Unverständnis festgestellt bei unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für mancherlei Geisteshaltung im Umgang mit der Corona-Situation und den Risiken, die von einer hohen Inzidenz mit der Gefahr der Überlastung unserer Krankenhäuser einhergehen. Das Team ist sicherlich gleichfalls angespannt, will sagen genervt von der gesellschaftlichen Gesamtsituation, weil wir nicht nur die medizinische Last tragen, sondern, tagein tagaus mit denselben Einschränkungen konfrontiert, keinem normalen Leben nachgehen können. Frust: Ja, aber Wut, vor allem Wut im Umgang mit den sich uns anvertrauenden Patientinnen und Patienten, seien es geimpfte oder ungeimpfte, können wir keinesfalls erkennen. Dies wäre auch unprofessionell.

Wie groß war bisher das Problem der Quarantäneausfälle beim Personal in der Corona-Pandemie?

Am Anfang, noch bevor FFP2-Masken und Schutzartikel oder gar eine Impfung uns Schutz boten, war die Ausfallsituation ein großes Thema. Wir sahen uns immer wieder mit Erkrankungen konfrontiert, die erhebliche Lücken nach sich zogen. Heute können wir aufgrund der Versorgungssituation mit Schutzkleidung, der guten logistischen Arbeit hier am Standort, unseren Teststrategien und durch die erfolgte Impfung etwas entspannter sein. Zuletzt gab es einige positive Nachweise bei unseren regelmäßigen Abstrichen, in der überwiegenden Zahl der Fälle ohne Symptome oder nur mit geringen Krankheitserscheinungen, wobei wir dem weiteren Verlauf der Omikronvariantenwelle abwartend gegenüber stehen müssen.

Corona hat bereits viele Opfer gefordert. Ist Ihnen ein Fall besonders nahe gegangen?

Glauben Sie mir, dass jeder Fall, der kein gutes Ende nimmt, das therapeutische Team auf Normal- und Intensivstation belastet. Aber der Umstand, dass wir teilweise wochenlang Pflegepersonal und Ärzteteam um das Leben eines Menschen ringen sehen, der trotz aller Bemühungen an den Folgen dieser Erkrankung stirbt, das ist emotional sehr belastend. Davon gab es einige Fälle. Da sind gerade die jüngeren Menschen, die mitten aus dem Leben gerissen werden, von besonderer Tragik.

Stichwort: Kritische Infrastruktur erhalten. Wie sieht es in der Asklepios-Klinik bezüglich Notfallplänen aus?

Wir haben einen Krankenhauseinsatzplan, der greift, sollte es zu einem massiven unerwarteten Massenanfall von Patienten kommen, um auf die letzten Ressourcen unserer Klinik zurückgreifen zu können. Dies war während der ganzen pandemischen Lage bislang nicht der Fall, wenngleich wir in einigen Momenten kurz davor waren, außerordentliche Maßnahmen ergreifen zu müssen. Ich denke, soweit wird es nicht mehr kommen müssen.

Welche Lehren können wir schon jetzt aus der Corona-Krise ziehen?

Die Corona-Krise hat mir persönlich gezeigt, wie vulnerabel eine Solidargemeinschaft sein kann und wie schnell aus kleinen Furchen Gräben und sogar Schluchten entstehen können. Eine Demokratie muss den Diskurs und die unterschiedliche Meinung aushalten können. Ich muss aber als Bürger, Rechte einfordernd, auch an meine Pflichten denken, die sich maßgeblich an Gesetzen und politisch verfügten Maßnahmen orientieren. Ich persönlich akzeptiere die Meinung eines anderen, bis zur Einführung einer gesetzlich festgelegten Impfpflicht die Impfung abzulehnen. Verwerflich finde ich, wenn solche Personen aber durch gefälschte Impfausweise ihnen nicht zustehende, weil gesetzlich so nicht vorgesehene Freiheiten nehmen und dann bei Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen an vorderster Front marschieren, gegen die Impfung wettern, aber womöglich sogar mit ärztlicher Unterstützung gefälschte Dokumente für den eigenen Urlaub nutzen. (Das Gespräch führte Julia Oppenländer)

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