Prost Mahlzeit: Neue Kunstforum-Ausstellung widmet sich dem Thema „Essen“

In seiner neuesten Ausstellung im Alten Haus zeigt das Seligenstädter Kunstforum kulinarische Malerei und Fotografie.
Seligenstadt – Wer kennt sie nicht, diese zeitgenössisch-verkopften Kunstausstellungen, in denen weitgehend sinnliche Bezüge zum normalen Leben und Treiben von uns Menschen fehlen? Die Kuratorinnen Ruth Wahl und Nanette Kernstock von Seligenstadts Kunstforum gehen nun den umgekehrten Weg und inszenieren ihre Schau „Vom Essen in der Kunst“ in den Räumen des Alten Hauses mit Opulenz. Vor Jahren hieß das noch „Neue Prächtigkeit“.
Angeregt wurden die Initiatorinnen von Projekten der vielseitigen Eifel-Künstlerin Andrea Montermann, die von ihrem Mendiger Studio nahe des Laacher Sees unter dem Namen „Andy Mo“ Kunst vom Kopf auf die Füße stellt. Mit popartiger, expressiver und fotorealistischer Malerei auf Leinwand, Drucken auf Metall, Graffitikunst und gesellschafts- wie umweltkritischen Kunst-Inszenierungen hat sich „Mo“ einen Namen gemacht. Seit einiger Zeit hat sie sich auf „Soul-Food-Art“ spezialisiert und dabei intensiv mit der Kultur der Lebensmittel auseinandergesetzt, in der es viel um Lebensfreude und Sinnlichkeit geht. Einblick in ihre große Koblenzer Schau „Aufgetischt: Kunstvoller Nährwert von Andy Mo“ gibt nun die enorm farbenfrohe Seligenstädter Auswahl.
Dabei ist nicht zu übersehen, dass Mo manchen Köchinnen und Köchen in Deutschland, Italien oder Frankreich tief in die Töpfe geschaut hat. In ihren vitalen Gemälden lässt sie sich von keiner Farbenlehre bremsen und dabei auch Gefühlen, Essgelüsten und Malkünsten freien Lauf. Nicht nur bei Formaten wie „Spargelküche“, „Hummer und Meer“, „Wodka, Fisch und Kaviar“, „Fromage et Vin“ oder „Homard et Cidre“ läuft den Betrachtern das Wasser im Mund zusammen. Mit viel Energie feiert hier eine Lebensgenießerin auch andere irdische, oft urbane Freuden unseres Daseins wie bei „Urbanes Törtchen“, bei der Vespa-Studie „Au coeur de Paris“ oder bei der Impression „Marché de Biarritz“.

Der Funke malerisch-kulinarischer Begeisterung springt auch auf die anderen Aussteller über. Die in Darmstadts stillgelegtem grünem Nordbahnhof wirkende Malerin Eva Leitschuh hat eigens für Seligenstadt eine Reihe von Bildern gefertigt, deren malerische Qualität überragt. Im Ölgemälde „Fisch mit Zitrone“ ist ihr ein atmosphärisches Meisterwerk gelungen, das es mit großen Stillleben des 18./19. Jahrhunderts aufnehmen kann. Für einen Raum im Alten Haus hat Leitschuh ein komplettes Mal-Menü zusammengestellt, von der Vorspeise über Hauptgang – Heißes Fleisch mit Beeren und Beilagen – hin zum süßen Nachtisch und magenschließenden Endgenuss. „Hmm!“ heißt es auch bei weiteren Köstlichkeiten aus Leitschuhs Pinsel, oft mehr im klassisch-modernen Kompositionsstil gemalt als bei der wilden „Mo“.
Die Wiesbadenerin Anke Rohde macht aus ihrer malerischen Kulinarik eine Art Kulturgeschichte, in der auch Räume und Gebäude eine Rolle spielen. Motive, flüchtige oder alltägliche Momente findet sie meist im urbanen Umfeld, das sie inszeniert wie einst ein Edward Hopper. Sehr gut bekommt dieses Vereinzelungskonzept den Frankfurter, Offenbacher, Düsseldorfer oder Lissaboner Kiosks und „Wasserhäusjen“, die bei Rohde zu Monumenten alltäglicher Genüsse und Glückseligkeiten gedeihen.
Melancholie fehlt nicht, denn manche dieser Genusstempelchen sind aus dem Stadtbild verschwunden. Der Verlockung kaum widerstehen kann man bei Rohdes Serie „Gemischte Tüten“. Da möchte man am liebsten zulangen, während in einem beim Betrachten lebensnah gemalter Lakritze-Schnecken und Gummibärchen sowie süßer Amore-Herzen in gestreiften Tüten Erinnerungen an die Kindheit oder an spannende Spiele im TV-Programm aufsteigen, die manche Dolci-Tüten haben verschwinden lassen.
Da hat es der Seligenstädter Food-Fotograf Mathias Neubauer, Kulturpreisträger seiner Stadt, nicht leicht, mit solch schmackhafter Malerei mitzuhalten. Aber auch er setzt bei in strenger Ästhetik halbierten Speisen-Fotos auf Hunger nach Genuss und Auszeit.
Bekannt geworden ist Neubauer durch professionelle Illustrationen von Kochbüchern, denen er eine neue inspirierende Ästhetik verleiht. Man sieht es an den Groß- und Kleinformaten „Dosenfisch“, „Weinsinnig“, „Erdbeeren“, „Ei, Ei“ oder „Grüne Sauce“, wie der Foto-Designer uns Konsumenten Ess- und Sehkultur grundlegend nahebringt – nie ohne Blick auf den Nährwert von Kunst. (Reinhold Gries)
„Prost Mahlzeit – Vom Essen in der Kunst“
Die Ausstellung ist vom 3. Juli bis 11. September im Alten Haus, Frankfurter Straße 13., zu sehen. Eröffnung ist am Sonntag, 3. Juli, um 17 Uhr. Das Kunstforum hat geöffnet Fr, Sa, So 15-18 Uhr und nach Vereinbarung unter 06182 924451.