Überraschung bei Bauarbeiten: Skelette im Kreis Offenbach ausgegraben
Bei Bauarbeiten für einen barrierefreien Zugang zur Einhardbasilika in Seligenstadt sind Grabstätten mit Skeletten zum Vorschein gekommen.
Seligenstadt – Die Überraschung war groß, als Mitarbeiter des Bauunternehmens Richard Sprey bei Arbeiten zur Errichtung eines barrierefreien Zugangs zur Basilika auf dem dortigen Vorplatz in Seligenstadt (Kreis Offenbach) einige der Sandsteinplatten entfernten. Gerhard Klein, der stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrats der Pfarrgemeinde St. Marcellinus und Petrus, schilderte am Dienstagnachmittag (25. April) auf der Baustelle vor einer Reihe von Zuschauern die Szene, als sich nur wenige Zentimeter unter dem Schotter Skelettteile und eine sogenannte Steinkiste fanden.
Gerhard Klein sagte, die nun laufende archäologische Untersuchung führe zwar zu erheblichen Mehrkosten beim Bauvorhaben, die Rede ist jetzt schon von 40 000 bis 50 000 Euro, doch wolle man zunächst alle Aufmerksamkeit auf die Grabstätten richten. Wie mehrfach berichtet, investieren die Pfarrgemeinde Sankt Marcellinus und Petrus und die Stadt Seligenstadt zusammen 165 000 Euro in den barrierefreien Zugang zum Gotteshaus, der zudem eine kleine Rampe hin zum Hans-Memling-Kulturhaus vorsieht.
Archäologisches Team untersucht Skelettfunde in Seligenstadt
Durch den Neubau des Basilika-Südturms im Jahre 1873 sowie die Gestaltung des heutigen Treppenaufgangs in den 1990er Jahren ging man vor den Arbeiten davon aus, dass der Untergrund im unmittelbaren Umfeld der Kirche damals sondiert worden war.
Umso erstaunlicher nun die aktuellen Skelettfunde. Die Firma Sprey informierte sofort die Untere Denkmalschutzbehörde des Landkreises Offenbach. Nach Rücksprache mit der Darmstädter Außenstelle des Landesamts für Denkmalpflege, dem mit der Planung beauftragten Unternehmen Post Architekten PartGmbH sowie einem anberaumten Ortstermin mit allen Beteiligten wurde entschieden, dass eine eingehendere archäologische Untersuchung nötig ist.

Seit Anfang April arbeitet ein archäologisches Team der Firma SPAU im Auftrag der Pfarrgemeinde an der Dokumentation und Bergung der wohl spätmittelalterlichen bis frühneuzeitlichen Bestattungen, die sich vor der Westfassade der Basilika unter der Erde verbargen.
Bislang 15 Bestattungen vor Seligenstädter Basilika dokumentiert
„Wir öffnen nur ein kleines Fenster eines ganz normalen Friedhofs. Hier handelt es sich um ein neuzeitiges Bestattungsfeld mit der Anlage von Reihengräbern“, sagt Archäologin Anke S. Weber von der Firma SPAU. Bislang wurden 15 Bestattungen, die noch vollständig oder teilweise in situ – also in der Form, in der sie einst in den Boden gebracht wurden – erhalten sind, dokumentiert und teilweise geborgen. Einige der Gräber liegen ineinander, ein Hinweis darauf, dass ein Platz in unmittelbarer Nähe der Basilika einen gefragten Begräbnisort darstellte.
Thomas Laube (Einhard-Gesellschaft) und Pfarrer Stefan Selzer meinten, die Kirchenplatte habe vermutlich früher die Funktion eines Paradieses gehabt. Paradies nennt man eine Vorhalle vor dem Portal einer mittelalterlichen Kirche. Genutzt wurde diese bei Prozessionen, oft bot sie Verfolgten Schutz. Auch Tote wurden dort beerdigt. Dagmar Kroemer von der Unteren Denkmalschutzbehörde des Kreises Offenbach verwies darauf, dass in früheren Zeiten eine ganze Reihe von Kirchen im Seligenstädter Stadtgebiet verstreut waren, entsprechend zahlreich seien die um sie herum angelegten Grabfelder.

Bestattet wurden die Toten auf der Kirchenplatte ausnahmslos in West-/Ost-Ausrichtung, mit den Füßen im Osten und dem Kopf im Westen, der Orientierung des Kirchenschiffes folgend, nach Osten blickend. Deutlich erkennbar sind die Gruben der Schachtgräber als rechteckige Verfärbungen im Boden. In einigen fanden sich Eisennägel – ein Hinweis auf Bestattung in genagelten Holzsärgen, deren Holz freilich längst vergangen ist. Zwei der aufgefundenen Gräber sind aus Sandstein und Mörtel zu Steinkisten zusammengefügt. Die Grababdeckung fehlte allerdings.
Abdeckungen von Seligenstädter Grabstätten wohl zum Hausbau verwendet
Da mehrere Grababdeckungen verschwunden sind, könne man davon ausgehen, dass sie später entnommen wurden und womöglich bei so manchem Hausbau Verwendung gefunden haben, so Bezirksarchäologe Peter Steffens, Landesamt für Denkmalpflege. Eine eindeutige Datierung der nun aufgefundenen Skelette liegt derzeit noch nicht vor. In den Gräbern fanden sich nach Webers Angaben keinerlei Beigaben, Schmuck, erhaltene Kleidung oder Gegenstände, die sichere zeitliche Rückschlüsse erlauben.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Friedhöfe aus hygienischen Gründen außerhalb der Wohnorte angelegt, daher stammen die Bestattungen sicher aus einer Zeit deutlich vor Mitte des 19. Jahrhunderts. Lediglich ein Benediktuspfennig – ein Amulett, dem magische Kräfte zugeschrieben wurden – ist an der Kirchenplatte aufgefunden worden.
Beim Bau des Südturms und dem Umbau des Vorplatzes um 1870 wurden einige Gräber bereits ge- bzw. zerstört. Ursprünglich reichten die Bestattungen wohl bis an die Kirchenmauer heran und dehnten sich auch weiter über den Bereich der Freitreppe hinaus aus. Keramikscherben aus den Verfüllschichten deuten bisher auf einen Zeitraum vom Spätmittelalter bis in die frühe Neuzeit, also etwa vom 14. bis ins 18. Jahrhundert, hin.

Bauarbeiten an Basilika: Backenzähne eines Seligenstädter Skeletts fehlen
Unter den aus einer Steinkiste geborgenen Skeletten ist eine Frau, etwa 150 Zentimeter groß. Ein weiteres Skelett sei mutmaßlich ein Mann, etwa 165 Zentimeter groß, berichtete Anke S. Weber. Auffällig: Die Backenzähne fehlen. Gefunden wurden in der Verfüllung außerdem Teile von Kinderskeletten.
Ob sich unter dem derzeit bearbeiteten Grabhorizont ein weiterer befindet, sich also weitere Gräber unter den aktuellen befinden, die gerade etwa 50 Zentimeter unter dem Bodenbelag des Vorplatzes geborgen werden, wird sich in den kommenden Tagen herausstellen. (Von Michael Hofmann)