Neue Pflicht zum Mehrwegangebot: Wegwerfen oder Wiederverwenden?

In Seligenstadt stellt die Mehrwegangebotspflicht Gastronomen vor Herausforderungen - aktuell sind noch viele Fragen offen.
Seligenstadt – Seit Anfang des Jahres gilt deutschlandweit die sogenannte „Mehrwegangebotspflicht“ für Gastronomiebetriebe, die Speisen oder Getränke zum Mitnehmen anbieten. Viele Betriebe müssen seitdem zusätzlich zu Einwegverpackungen auch Mehrwegbehälter anbieten (siehe Kasten).
Seligenstadt: Hygieneregeln bei Mehrweggeschirr als Herausforderung
Zum Start der neuen Regelung stehen viele Gastronomen vor Fragen: Welche Behälter eignen sich für ihr Angebot? Woher bekommen sie diese? Wie funktionieren Ausgabe und Rücknahme? Nehmen sie Pfand oder nicht?
Für Martin Becker, Chef der Metzgerei Becker in der Seligenstädter Altstadt, ist die Mehrwegangebotspflicht vor allem eines: nicht zu Ende gedacht. 50 Behälter aus Hartplastik hat er zunächst als Grundstock angeschafft, gefragt hätte danach bisher niemand.
Tut das doch jemand, kommt es schon bei der Rücknahme zur ersten Hürde: Die dreckigen Dosen dürfen aus hygienischen Gründen nicht von den Mitarbeitern persönlich entgegengenommen werden, es braucht also eine separate Station, an der die benutzten Behälter der Kunden abgestellt und gesammelt werden können. Empfohlen wird Betrieben aber auch, die Dosen zuerst zu sichten, bevor sie endgültig zurückgegeben werden. Kaputt sollten sie schließlich nicht sein.
„Die Frage ist auch, wie lange die Behälter benutzt werden können. Ich denke, sie halten zehn bis zwanzig Waschgänge aus. Aber wenn mehrere Gäste direkt aus der Verpackung heraus essen, sieht sie irgendwann auch nicht mehr schön aus“, sagt Martin Becker. Schließlich verkratzen die Behälter leicht.
Seligenstadt: Pfand für Mehrwegbecher „eine Fehlerquelle für die Buchhaltung“
In den Filialen der Bäckerei Haas geht es in puncto Mehrweg insbesondere um Kaffeebecher. Bisher hätten sie aber noch nicht für alle Standorte Mehrwegbecher bekommen, sagt Andrea Freudenberger, die für die Filialen der Bäckerei zuständig ist.
„Ich propagiere aber immer, dass die Kunden ihre eigenen Becher mitbringen. Das haben sie auch vorher schon häufig gemacht.“ Die Nachfrage nach Mehrwegbechern sei daher bisher gering.
Möchte ein Kunde einen solchen Becher nutzen, zahlt er einen Euro Pfand. „Das Pfand muss auch in die Kasse eingespielt und aus dem Gesamtumsatz rausgerechnet werden. Das ist immer eine Fehlerquelle für die Buchhaltung“, sagt Freudenberger und sieht dabei ein Problem. Natürlich müsse man ressourcenschonend arbeiten, sagt sie, „von unternehmerischer Seite ist es aber schwierig und sehr aufwendig umzusetzen.“
Ziel der Mehrwegangebotspflicht ist, die Kunden selbst entscheiden zu lassen, ob sie ihre Speisen und Getränke im Einweg- oder im Mehrwegbehälter kaufen wollen. So sollen weniger Einwegverpackungen aus Kunststoff genutzt werden und so weniger Verpackungsmüll entstehen. Bundesumweltministerin Steffi Lemke will darüber hinaus erreichen, dass die neuen Regeln künftig auch für alle weiteren Einwegverpackungen, unabhängig vom Material, gelten, wie sie in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa sagte.
Seligenstadt: Aktuell geltende Mehrwegregeln sorgen für Unklarheiten
Bisher scheinen allerdings schon die aktuell geltenden Regeln für Unklarheiten zu sorgen. Gerade in Imbissen, die in den meisten Fällen keine eigenen Mehrwegbehälter anbieten müssen, herrschen die Einwegverpackungen weiter vor. Dass die Kunden eigene Behälter mitbringen, funktioniere nur dann, wenn sie die Bestellung auch selbst abholen. „Dann sagen wir dazu auch ‘ja’“, sagt die Geschäftsführerin von Sushi Crown in der Frankfurter Straße. „Gerade abends und am Wochenende liefern wir aber hauptsächlich.“
Selbst wenn sie eigene Mehrwegbehälter anbieten würden, bleibt die Frage, wie sie nach der Lieferung wieder zurückkommen. Aktuell befänden sich viele Betriebe noch in der Eingewöhnungsphase, so Erster Beigeordneter Michael Gerheim. „Sie sollen jetzt erst einmal schauen, wie sie diese Vorgaben umsetzen.“ Wie sie dann kontrolliert werden, ist derzeit noch unklar.
Und auch der Blick auf die Kunden darf, vor allem in puncto Pfand, nicht fehlen. Führen Gastronomen ein eigenes Pfandsystem ein, müssen sie auch nur ihre eigenen Behälter zurücknehmen. Die Kunden müssten ihre Becher oder Dosen also dort wieder abgeben, wo sie herkamen. Vor allem mit Blick auf den Lieferservice, aber auch beim „Coffee to Go“, ist das oft umständlich.
Das Bundesumweltministerium verweist daher auf sogenannte Mehrweg-Poolsysteme wie „Recup“ oder „Fair Cup“, das auch die Stadt Seligenstadt – mit bislang überschaubarem Erfolg – testet. Nutzen mehrere Betriebe dasselbe System, können die Kunden die Behälter auch an mehreren Stellen zurückgeben.
Seligenstädter Gastronom setzt bei Mehrweggeschirr auf App
Dennis Mele von der Pizzeria Puglia will genau so ein System nutzen. Er arbeitet mit der App „Revelo“, über die die Kunden das kostenfreie Mehrweg-Geschirr per QR-Code einscannen können. Erst wenn sie es nach zwei Wochen nicht zurückgegeben haben, müssen sie etwas dafür zahlen, Pfand gibt es also nicht.
Unsicher ist Mele allerdings, wie Kunden und andere Betriebe die App nutzen. Bisher ist sein Restaurant in der Umgebung das einzige, das man dort findet. Wären es mehr, werde es auch für die Kunden attraktiver: Dann könnten sie ihre Mehrwegbehälter bei allen teilnehmenden Restaurants zurückgeben. (Laura Oehl)
Die Mehrwegangebotspflicht im Überblick
Seit Januar müssen Gastronomiebetriebe, die Essen oder Getränke zum Mitnehmen in Einweg-Lebensmittelverpackungen aus Kunststoff oder Einwegbechern (unabhängig vom Material) verkaufen, auch Mehrwegbehälter anbieten.
Ausgenommen sind Betriebe mit weniger als fünf Mitarbeitern und einer Fläche unter 80 Quadratmetern, wie Kioske oder Imbisse. Sie müssen Kunden aber darauf hinweisen, dass diese ihre Bestellungen auch in mitgebrachten Mehrwegbehältern mitnehmen können.
Der Preis darf im Vergleich zum Angebot in Einwegbehältern nicht steigen. Die Betriebe sind verpflichtet, ihre Gäste auf das Mehrwegangebot hinzuweisen. (loe)