Wie ein Seligenstädter Kaplan zum mehrfachen Mörder wurde

Ein Eintrag im „Löffelbuch“ verweist auf einen Seligenstädter Kaplan, der im 20. Jahrhundert unter anderem ein Zellhäuser Mädchen ermordete.
Seligenstadt – Auch im neuen Jahr greifen wir unsere lose Serie über „prominente Gäste des großen Löffels zu Seligenstadt“ und ihr historisches Umfeld auf. Autorin ist die frühere Stadtarchivarin Dr. Ingrid Firner, die drei Löffelbücher – Gästebücher mit vielen tausend Autografen, die seit dem späten 17. Jahrhundert in Wirtshäusern auslagen – gesichtet und transkribiert hat. Der Löffeltrunk wird verdienten Bürgern und Gästen beim jährlich stattfindenden Geleitsmahl sowie beim alle vier Jahre veranstalteten Geleitsfest gereicht.
Seligenstädter Löffelbuch: Eintrag gibt Hinweis auf Morde
Anfang 1908 schreibt ein junger Seligenstädter Priester angesichts des großen Löffels im Besitz der Familie Rettinger Wünsche ins Löffelbuch: „Mög dieses alte Familienstück Allzeit bringen Segen und Glück! Dies wünscht der verehrten Familie Rettinger von ganzem Herzen Dr. Johannes Schmidt“. Neben dieser Eintragung findet sich in anderer Schrift – vermutlich von Karl Rettinger – der Hinweis: „Johannes Schmidt war Kaplan in Seligenstadt, wanderte nach Amerika u. wurde dort wegen Mord u. dgl. gemeinen Verbrechen hingerichtet!“
Zum Zeitpunkt seines Eintrags ins Löffelbuch hat Kaplan Schmidt bereits seinen ersten Mord begangen. Opfer ist Frieda Weih, an deren Schicksal im Zellhäuser Wald noch in ihrem Todesjahr von den Hinterbliebenen eine Gedenktafel angebracht wird: „An dieser Stelle wurde am 4. August 1906 Frieda Weih aus Zellhausen im Alter von 13 Jahren mißbraucht und auf krausamster Weise zu Tode gebracht. Der Täter blieb unerkannt. Gott der Herr spricht: Mein ist die Rache. Anno 1906.“
Der Mord kann nicht aufgeklärt werden, zeitweise gerät sogar Friedas Vater in Verdacht, während der Geistliche weiterhin das Vertrauen der Seligenstädter genießt. Schmidt ist jung, von attraktivem Äußeren und gewinnendem Wesen, die Herzen vor allem der weiblichen Gemeindemitglieder fliegen ihm zu. 1881 in Aschaffenburg geboren, mit 23 Jahren 1904 zum Priester geweiht, verbringt er seine ersten Dienstjahre in Seligenstadt.
Seligenstädter Kaplan wandert fluchtartig nach Amerika aus
Als er ins Löffelbuch schreibt, steht seine fluchtartige Auswanderung nach Amerika kurz bevor, denn 1908 tritt er seine neue Stelle in der St. John’s Parish in Louisville, Kentucky, an. Auch dort bleibt er nicht lange und wechselt in die New Yorker St. Boniface Church im Osten von Manhattan.
Wie sich im späteren Strafprozess gegen ihn herausstellen wird, hat er wohl auch in Kentucky gemordet, denn zur Zeit seiner Anwesenheit verschwindet ein junges Mädchen, dessen zerstückelte Leiche im Keller des Pfarrhauses gefunden wird. Angeklagt wird ein Hausmeister.
Als „Father Schmidt“ in der New Yorker Pfarrei eintrifft, wird zugleich auch eine junge Österreicherin als Haushälterin eingestellt, Anna Aumüller, mit der Schmidt ein Liebesverhältnis beginnt. Daraufhin wird er in die Pfarrei St. Joseph in West Harlem versetzt, was das junge Paar aber nicht hindert. Am 25. Februar 1913 heiratet Schmidt seine Partnerin in einer geheimen Zeremonie, die er selbst durchführt.
Seligenstädter Kaplan gesteht heimliche Ehe und Mord
Dies und die Schwangerschaft seiner Geliebten führen zum Mord am 2. September 1913, als Schmidt Aumüller in ihrer Wohnung in Manhattan im Schlaf die Kehle durchschneidet, ihren Körper in zwei Hälften zersägt, den Unterkörper in einen Kissenbezug mit dem Monogramm „A“ legt und alle Teile, beschwert mit Schiefer, in den Hudson River wirft.
Drei Tage später werden die Leichenteile gefunden, und diesmal wird der Mord anhand des Monogramms aufgeklärt. Die Wohnung, die Schmidt für Aumüller angemietet hatte, gleicht einem Schlachtfeld, obwohl Schmidt mit einer Bürste und sechs Stücken Seife versucht hatte, die Spuren seiner Tat zu beseitigen. Fleischermesser und Handsäge, in einem Koffer versteckt, werden im Keller gefunden. Schmidt gesteht die Ehe und den Mord und sagt aus, er habe Anna geliebt, aber „ein Opfer müsse blutig sein“.
Seligenstädter Kaplan wird in den USA zum Tod verurteilt
Die Ermittlungen legen weitere Taten Schmidts offen. Es finden sich neben einer weiteren Wohnung des Geistlichen mit einer Gelddruckmaschine Belege für Pläne zu Versicherungsbetrug und weiteren Morden. Der Prozess beginnt Anfang Dezember 1913, bei dem seine Anwälte erfolgreich auf Geistesgestörtheit ihres Mandanten plädieren. Die Staatsanwaltschaft akzeptiert dieses Urteil nicht und beantragt eine Revision. Diesmal wird Kaplan Schmidt zum Tod auf dem elektrischen Stuhl verurteilt. Seine Hinrichtung wird am 18. Februar 1916 dokumentiert.
Hundert Jahre später plant der Mainhausener Geschichtsverein, die Gedenktafel für Frieda Weih zu erneuern, und Nachfahren des Opfers recherchieren in dem damals noch ungelösten Fall. Die Eintragung des Kaplans Schmidt im Löffelbuch und die Bemerkung Bettinger bringen den Stein ins Rollen. Nachforschungen in den USA führen zu einem Wikipedia-Artikel von Nickolaus Hines vom April 2016. (yfi)