Seligenstadt: Das denkt Apothekerin über den Medikamentenmangel

Nicola Uffeln leitet eine Apotheke in Seligenstadt. Für den aktuellen Medikamentenmangel sieht sie Gründe, glaubt aber an die Kompetenz der Apotheken.
Seligenstadt – Wer derzeit Arzneimittel wie Ibuprofen-haltige Fiebersäfte oder Blutdruckmittel auf Rezept einlösen möchte, der steht mitunter vor großen Hürden: Aufgrund von Lieferengpässen gibt es für Apotheken akute Probleme, die Ladenschubladen ausreichend zu befüllen. Sogar an bestimmten Antidepressiva mangelte es zeitweise, selbst bei Medikamenten zur Brustkrebs-Therapie verzögerte sich letztes Jahr der Nachschub, berichtete der Deutsche Apothekerverband.
Seligenstadt: Medikamentenmangel Resultat einer Reihe von Faktoren
Seit Januar ist Nicola Uffeln Inhaberin der Palatium-Apotheke in Seligenstadts Altstadt. Zum Familiengeschäft, das sie vor zwei Wochen von ihrer Mutter Hildegardis Rüll übernommen hat, gehört auch die Tannen-Apotheke in Zellhausen. „Ich bin seit 1996 Apothekerin. Lieferengpässe habe ich immer mal wieder vereinzelt erlebt. Aber so massiv wie aktuell noch nie“, sagt die 55-Jährige.
Wo die Gründe liegen? Wie so häufig gebe es eine Reihe von Faktoren, die beim derzeitigen Missstand eine Rolle spielen, meint Uffeln. Einen hebt sie dennoch hervor: Die Abhängigkeit von Lieferketten, die während globaler Krisen besonders zu spüren sind.
Bis ins 20. Jahrhundert hinein galt Deutschland noch als Kraftpaket der Pharmaindustrie. Unternehmen stellten nicht nur Arzneimittel in Frankfurt oder Ludwigshafen her, sondern sorgten auch für Innovationen in der Forschung. Deutschland als „Apotheke der Welt“, das ist mittlerweile ein Phänomen vergangener Zeiten.
Seligenstädter Apothekerin: „Bei uns soll immer alles billig sein“
„Bei uns soll immer alles billig sein. Deshalb produzieren wir sehr viel im Ausland, vor allem in China und Indien“, sagt Uffeln. Wird einmal ordentlich gerüttelt und gezogen an einem Ende der Kette, wie zuletzt durch die Pandemie, bekommen das dann auch die Abnehmer am anderen Ende zu spüren.
Die Apothekerin gibt zu bedenken: „Auch die Krankenkassen hierzulande drücken die Preise. Mit ihren Rabattverträgen unterstützen sie eine möglichst günstige Produktion.“ In der Praxis nämlich erstatten die Kassen für jedes Arzneimittel eine bestimmte Summe – den sogenannten Festbetrag. Ist ein Therapeutikum teurer, müssen Patienten selbst für die Differenz aufkommen. Was sich daraus ergibt: Die gesetzlichen Krankenkassen schließen Rabattverträge mit den billigsten Herstellern ab. Apotheken dürfen dann ausschließlich deren Medikamente an die Versicherten abgeben.
Sicherlich hätte sich Uffeln den Start als neue Inhaberin des Familienunternehmens leichter erhofft. Dennoch gibt sie sich kämpferisch: „Wir finden oft eine Lösung, wenn wir ein Medikament gerade nicht bekommen. Zum Beispiel, indem wir ein Arzneimittel mit einem höheren Wirkstoffgehalt niedriger dosieren. Das erfolgt aber alles in Absprache mit dem zuständigen Arzt.“ Was die Apotheken betrifft, möchte Uffeln zum Abschluss festhalten: „Wir leisten derzeit einfach sehr viel.“
Medikamentenmangel: Skeptischer Blick auf Maßnahmen der Politik
Auch die Politik will auf die Situation reagieren. Gesundheitsminister Karl Lauterbach ließ zuletzt die Preisregeln für Kinderarzneimittel lockern. Ab Februar haben die Krankenkassen konkrete Schritte gegen die Engpässe beschlossen. Dazu kommt: EU-Hersteller sollen künftig bevorzugt werden, etwa wenn es um die Produktion von Krebsmedikamenten geht. Krankenkassen und Industrie reagierten auf die Maßnahmen bislang eher skeptisch und zurückhaltend (siehe Kasten). (Julius Fastnacht mit afp)
Krankenkassen und Industrie skeptisch
Als Schritt gegen die Engpässe bei Kinderarzneimitteln werden die Festbeträge etwa für Ibuprofen-Säfte und Antibiotika ab Februar für drei Monate komplett ausgesetzt. Das hat der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mitgeteilt. „Damit verschaffen wir allen Beteiligten Zeit“, ließ der Verband verlauten. Der Gesetzgeber müsse aber konkrete Vorgaben schaffen, um die bestehenden Lieferprobleme bei der Arzneimittelversorgung strukturell anzugehen.
Auch die Industrie zeigte sich eher skeptisch. Der Geschäftsführer des Industrieverbands Pro Generika, Bork Bretthauer, sagte dem „Handelsblatt“, die Aussetzung der Festbeträge sei „eine Geste - aber sie wird das Problem der Engpässe kurzfristig nicht lösen“.